Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Export A

Export A

Titel: Export A Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kränzler
Vom Netzwerk:
die zähe Masse fuhren, sie durchstachen und zerteilten und sie schließlich zum Schmelzen, zum Verschwinden brachten.
    Ich teile mein Geld, sie zerlegen meine Zeit, lautete mein Wunsch.
    Der Hunger nach Zerstreuung war – nein, der Hunger IST unstillbar, so maßlos wie die Zeit.
    Um die von mir so heftig herbeigesehnten zeitlosen Momente erleben zu können, brauchte ich jede Menge günstiger Gelegenheiten.
    Damals gab ich mich der Illusion hin, ein bisschen dran drehen und mir das Gewünschte erschleichen zu können ⁠… Die Scheine fühlten sich wie kleine Spickzettel an, die die Bewertung der Gegenwart etwas nach oben korrigieren können.
    Die Zeit in der Centennial war eine fortwährende Steigerung des Selbstbetrugs. Pausenlos erhöhte ich Tempo und Einsatz. Manchmal stelle ich mir diese Tage als Sequenzen von drei oder vier in Panels eingefassten Zeichnungen vor. Fette, rote Ausrufe in Druckbuchstaben begleiten die Bewegungen der Lisa-Figur. PUSH! PUSH! PUSH YOUR LUCK, heißt es in jedem Bild.

26.
    Seit gestern ist, was lange befürchtet wurde und längst überfällig war, Realität geworden. Mit der Post wird uns mitgeteilt, dass wir das Haus bis zum Ende des Monats geräumt haben müssen.
    Ein Grund mehr, sich exzessiv zu berauschen!
    Jede Nacht ist die letzte. Wir nähern uns der Klippe des nächsten Monats. Wir werden springen müssen ⁠… Aber noch nicht heute!
    Eine große, bunte Gruppe mit vielen neuen, ungewohnten und unbekannten Gesichtern hat sich in Joshs Zimmer versammelt. Die Endzeitstimmung zieht sie an. Gierige Meute.
    Betört vom Duft der Vergänglichkeit schwirren Autos und Menschen um unser Mintgrün bei Tag und Nacht. Jeder will seinen Anteil abzapfen, die Gelegenheit auswringen, bis zum letzten, hochprozentigen Tropfen.
    Joshs kleines, kirschholzfarbenes Schränkchen, gestiftet vom Pfandleiher unseres Vertrauens, welches ich eigenhändig mit einer nackten, eddingblauen, aus einem Hanfblatt hervorkriechenden Frau verziert habe, ragt in der Mitte des Zimmers wie ein Stein aus dem Wasser. Wir bilden die Ringe drum herum, sitzen in größer werdenden Kreisen um den kniehohen Kasten. Ein randvoll gefülltes Bierglas thront auf dem hölzernen Podest im Zentrum. Wir spielen »Quarters«.
    Mein Nebenmann ist an der Reihe. Er nimmt die Münze in die Zange aus Daumen und Zeigefinger. Kurzes Zögern, Anvisieren, Anpeilen, dann macht sein Handgelenk eine kleine, präzise Bewegung wie ein Schlagzeugspieler. Queen Elisabeth knallt mit dem Gesicht auf das Holz und prallt ab, die Kaributrophäe auf ihrer Rückseite schnellt hoch und im hohen Bogen auf die Schaumkrone zu. Ein Klirren von Metall und Glas; ein Glucksen – Treffer versenkt!
    Aufgeregtes, schadenfrohes und anfeuerndes Johlen braust durch die Sitzreihen. Ich umfasse das kalte, glatte, nach Gärung stinkende Bierglas, blicke über den Rand in die gelbe Brühe und zwinge mich zu schlucken, gluckere bis ich Durchsicht habe. Das runde, dicke Brillenglas am Ende der Glasröhre verzerrt die Zimmerdecke. Mit dem letzten Flüssigkeitsrest kommt die 25 Cent-Münze auf mich zugerutscht. Ich fange sie zwischen den Zähnen, setze mit der Rechten das Glas ab und recke die Linke stolz gen Himmel.
    So geht das, Runde um Runde.
    Die Münze schlingert von Hand zu Hand. Wir werfen und treffen und trinken. Das Schlucken will kein Ende nehmen.
    Plötzlich spüre ich etwas auf mir, das weder vom Spieltrieb noch von der Trunkenheit herrührt. Wie das Streiflicht einer heißen Lampe überfliegt es Wangen und Hals, wieder und wieder. Es ist ein Blick.
    Meine verdunkelten, in Alkohol schwimmenden Augen brauchen eine Weile, bis sie die genaue Herkunft des Blicks, dessen Fang ich bin, erfasst haben. Ein dunkelhaariger Typ lehnt gegen Joshs Poster und wirft seine Blicke nach mir. Letzte Woche hat er sich in unserer Auffahrt mit jemandem geprügelt. Ich glaube, er heißt Kyle.
    Dann eine Reihe vergessener Stunden, versumpft und ertränkt, vernichtet von Tausend Schlucken, ewig schwarz.
    Am Ende jener Schwärze finde ich mich in meinem Zimmer wieder, den Rücken gegen die Wand gepresst, Kyles Zunge in meinem Mund. Es schmeckt beschämend nach Fehler. Das hier darf niemand sehen, niemand wissen. Mir fällt Bernie ein, der hinter meiner Tür auf dem Gang schläft und Kyle nicht ausstehen kann, denke an Josh, der ⁠… Verdammt.
    Trotzdem (oder zum Trotz?) ziehe ich mich mechanisch aus. Dreiäugig – zwei Augen im Kopf, ein getigertes um den Hals – mustere ich

Weitere Kostenlose Bücher