Export A
und ich. Einem Spinnentier gleich hat er seinen weißen Faden in mich geklebt und keimendes Leben hinterlassen, gefährliche, kleine Zellen, von denen ich nicht weiß, was sie in mir anstellen, die ich nicht am wuseln und befruchten und wachsen hindern kann. Nicht dran denken, nicht drüber sprechen! Und wenn nun – … Schluss! Aufhören! Nicht nach Worten dafür suchen! Es darf nicht sein!
Es gibt kein heißes Wasser mehr. Während ich den Duschvorhang aus Plastik zurückschiebe, fällt mir ein, dass heute Sonntag ist.
Bald wird meine Schwester durch unsere Einfahrt stapfen. Wir werden ins Auto steigen und auf die Fir Street zurollen, um auf roten Samtstühlen Platz zu nehmen, Leroys Predigt zu hören, zu singen und Jesus Christus für unsere Errettung zu danken.
Ich muss bleich gewesen sein. Vielleicht auch etwas wortkarg.
Das Klavier beendet das Vorspiel, wir erheben unsere Stimmen zum ersten Lied. Aus meinem Hals dringt kein Laut, kein einziger Ton, nur trockenes Würgen. Ich wanke aus meiner Stuhlreihe, stoße Türen auf, übergebe und ergebe mich. Meine Mitte bricht in sich zusammen, ich sinke auf die Knie und umklammere den ovalen Heiligenschein aus Porzellan, atme, schluchze, würge. Die verschlossene Klotür dämpft die besorgte Stimme meiner Schwester. Mit letzter Kraft lüge ich sie an und erzähle eine Geschichte von Nahrungsmitteln mit überschrittenem Haltbarkeitsdatum.
Dennoch wird gnädig mit mir verfahren. Die christlichen Werte erwirken eine Gottesdienstpause, ich darf mich hinlegen.
In Leroys winzigem Büro lege ich mich auf meine Jacke und lasse mich von meiner Schwester zudecken. Ich bin zu lang für diese Kammer, liege quer, den Oberkörper unter des Pastors Schreibtisch. Das Holz, die Bücher, der staubige Geruch und die leisen Klavier- und Singstimmen aus dem Off wirken beruhigend. Ich schlafe ein.
Der Sonntag vergeht, dann der Montag. Noch immer kleben Kyles Spinnenfäden in mir. Taub, stumm und blind tappe ich im Haus umher, stoße auf Angst, stolpere über meine Panik. Ich stemme mich gegen alle Gedanken an meinen Bauch. Es darf nicht sein!
Montagnacht steckt mir Bernie einen Zettel zu.
»From Kyle. I don’t know what it is …«
Meine Blicke flitzen auf seinem Gesicht hin und her, suchen in jedem Winkel, nehmen ein harmloses Wimpernzucken auf, das Weiten und Verengen der Pupillen, jede feinste Linie, lassen nichts aus. Ich will mir sicher sein. Ahnt er was? Weiß er was?
Ich falte den Zettel auf. Blaue Kugelschreiberlinien fügen sich zu einer kleinen Karte. Das Schulgebäude, die Straße, die Sportplätze und das angrenzende Wäldchen sind eingezeichnet. Ein Kreuz, daneben Datum und Uhrzeit, weiter nichts.
»What is it? What’s going on there?«
Bernies ehrliche Neugier und die harmlose Skizze beruhigen mich. Bernie weiß nichts, wird nichts erfahren.
Morgen werde ich den Anweisungen des Zettels folgen, zur verabredeten Zeit durch die Bäume auf den Juniper Drive zu stapfen, am Straßenrand warten und kurz darauf in sein Auto steigen. Wir werden den Mountainview Drive Richtung Süden bis nach Downtown Whitehorse hinab gleiten, unseren Stamm-Liquorstore auf der Second Avenue passieren, in den Lewes Blvd einbiegen und den Yukon River überqueren. Nach der Brücke folgen wir der Straße den steilen Hügel zum General Hospital hinauf. Ich versuche, mich auf die Strecke vor mir zu konzentrieren, Kyles Profil im Augenwinkel. Sein Bild ist nicht wegzuleugnen. Er ist da, er existiert. Sein Geruch erregt Brechreiz. Ich versuche, durch den Mund zu atmen.
Wir parken vor dem Krankenhaus, er nennt mir eine Zahl. Schweigend steige ich aus, schreite die flachen, nummerierten Ge bäude ab, drücke eine Glastür auf. Im Wartezimmer steht ein großes Bonbonglas mit Kondomen. Ich fülle einen Bogen aus, schreibe irgendeinen Namen und ein paar Daten hinein. Die Ärztin nimmt mir Klemmbrett und Fragebogen ab, fragt, was sie fragen muss, und händigt mir zwei kleine, runde Pillen aus. Eine weiße für jetzt, eine hellblaue für später. Andächtig lege ich mir das weiße Rund auf die Zunge. Dankbar schlucke ich die Gabe, die mich retten, mich vor den Möglichkeiten meines Leibes bewahren wird, präzise, zuverlässig und besser als Jesus es je gekonnt hätte. Der Faden ist durchtrennt.
Auf dem Weg nach draußen werfe ich einen Blick auf die Broschüre, die mir die Ärztin zum Abschied in die Hand gedrückt hat. Eine Aufklärungsbroschüre im Bildzeitungs-Design. » NOT 2 LATE «
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