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Export A

Export A

Titel: Export A Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kränzler
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wir müssen laufen.
    Da der Weg etwas abschüssig ist, bestehen die Jungs darauf, die GT s mitzunehmen. Ich beuge mich der Mehrheit und zerre das verhasste Teil aus dem Van. Was für eine hirnlose Entscheidung ⁠… Bereits nach den ersten hundert Metern wird der Weg tischeben.
    GT s lassen sich nicht wie andere Schlitten brav an einer Kordel bei Fuß ziehen. Sie müssen getragen werden.
    Wieder drücken Metall und Plastik auf meine Schultern. Mühsam schleppe ich mich voran. Mein Rückstand zu den Jungs vergrößert sich. Die Sterne beleuchten das reinweiße Laken zu meinen Füßen. Ich könnte mich hinlegen und ausruhen, unter die Schneedecke schlüpfen, ein bisschen schlafen ⁠… Es wäre bestimmt nur anfangs kalt.
    Die Hand, die den Metallrahmen festhält, erstarrt indes zur Kralle. Mehr als 10 km liegen zwischen mir und der Centennial. Ich versuche, meine Schritte zu zählen. Nur noch Hundert! Hundert musst du noch schaffen, bläue ich mir ein. Meine Schenkel werden schwerer, der Rücken buckliger. Schwäche kriecht in die Gelenke. Die Stolperer häufen sich. Ein Wegknicken rechts, ein Wegknicken links. Ich starre auf meine Füße, verfolge, wie der rechte auftaucht, während der linke hinter mir verschwindet; staune, als der linke unter der Hüfte vorkommt und der rechte zurückbleibt. Sie laufen!
    Ich kann nicht mehr.
    Unter dem Brustbein sitzt der letzte Wärmerest. Ein panisch-scharf gewürztes Blutsüppchen siedet, dampft und bildet kleine Bläschen aus. Vor meinen Augen füllen sich die Dampfwolken mit Tränentropfen. Ich verbiete ihnen, über meinen Wangen abzuregnen.
    Tausendmal »Ich kann nicht mehr«. Beim tausendundersten Mal kommt ein Schatten auf mich zu: Es ist Josh.
    Ohne ein Wort nimmt er mir den Schlitten von der Schulter.
    Kleinlaut, ein bisschen beschämt und unendlich erleichtert hopse ich neben ihm her, mache zwei Schritte, wo er einen macht.
    Wir holen auf, die anderen sind bereits in Sichtweite. Gemeinsam erreichen wir den Highway, eine geschlagene Truppe von fünf Fußsoldaten, von denen der größte zwei Schlitten, der kleinste keinen schleppt. Ich nutze meine freien Hände, um einen Truck heranzuwinken. Wenigstens das klappt. Wir springen auf die Ladefläche, kriechen tiefer in unsere Jacken, halten uns die Handschuhe vor die Gesichter und verstecken uns vor dem Fahrtwind.
    Die Kälte ohrfeigt uns bis zur Centennial, wo wir benommen und blaugefroren vom Fahrzeug zum Haus taumeln.
    Das Kalenderblatt wurde oft und auf unterschiedliche Weise gefal tet. Tiefe Rillen durchziehen das Papier. Ich streiche es mit der Handfläche glatt, falte ein Eselsohr auf und entdecke eine kleine, krakelige Notiz. Bleiche, grünlich-schwarze Tintenbuchstaben verkünden:
    »Jesus never carried my load Josh did.«
    Ich weiß nicht, ob ich das kleine Herz, das ich der zweiten Zeile beigefügt habe, erwähnen darf. Wahrscheinlich würde es lieber im Hintergrund bleiben, sich still und leise neben der Zeile herumdrücken, bloß kein Aufheben machen.
    Kleiner Schisser.

Geld (2)
    Die ATM -Maschine in dem kleinen Kiosk knattert angestrengt. Ich verlange ihr einiges ab, lasse sie 30 grüne Scheine hochwürgen. In züchtigem, bescheidenem Grau hockt sie vor mir und erledigt ­widerspruchslos meinen Auftrag. Behutsam schiebt sie die Zwanziger zwischen ihre kleinen, metallischen Zähnchen, öffnet den Maulschlitz, streckt mir die Scheine entgegen und wartet geduldig, bis ich sie ihr abnehme. Ein nimmermüdes, kastenförmiges Hündchen, das mir apportiert, das durch raschelnde, mit Tiermotiven und ernsten Gesichtern bedruckte Laubhaufen tobt, dem Eistaucher auf der Rückseite nachjagt und der Queen in die Wade zwickt. Ich bin anderes gewohnt; anderes Papier, andere Färbungen, eine andere Griffigkeit . Es fällt mir schwer, diese grünen Scheine ernst zu nehmen, wertzuschätzen, für bare Münze zu nehmen. Der Begriff »Spielgeld« drängt sich auf.
    Doch ob sich kanadische Banknoten für mich nun falsch oder echt anfühlen, ist jetzt zweitrangig. Fest steht, dass bei uns im Mintgrünen ein Mangel an Blassgrün herrscht, und ich diesen, wenigstens für heute, morgen und vielleicht sogar übermorgen, vergessen machen will.
    Zwischen Sandwiches, bonbonfarbenen Getränken und Zigarettenschachteln versenke ich die 600 Dollar in einem Umschlag, in dem einst ein handgeschriebener Brief meiner Mutter über den Ozean flog. Der Umschlag wandert in meine Jackentasche. Auf dem Weg nach draußen stelle ich die Balance zwischen

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