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Export A

Export A

Titel: Export A Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kränzler
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schreit die Schlagzeile, » EMERGENCY BIRTH CONTROL « und ein weißes, alleinstehendes » PILLS « bilden die Unterschrift, darunter Schwärze, dann eine Telefonnummer. Ich falte das Papier in der Mitte und stecke es in die Hosentasche.
    Auf dem Rückweg ist die Stimmung verändert. Kyle fährt schneller, lässiger, er wirkt aufgehellt, erleichtert. Gleich müssen wir abbiegen, die Ausfahrt zur Centennial nähert sich.
    Wir verpassen sie.
    »Do you wanna have some fun?«, kommt es vom Fahrersitz her.
    Ich suche nach meiner Stimme und krächze die einzige mir mögliche Antwort. »Sure ⁠…«
    Dann kiesiges Knirschen, ein Waldweg. Schwer beladene Schneebäume, die traurig die Zweige hängenlassen. Der Sitz streckt den Rü cken durch, ich liege flach. Leder, Scheiben und Armaturenbrett peinigen mein nacktes Fleisch mit ihrer Kälte. Die Scheiben beschlagen schnell. Das Auto riecht nach Kondom. Jetzt ist er da, der Schmerz. Mit zusammengebissenen Zähnen versuche ich, die Hüften außerhalb der Reichweite der stumpfen Nadel zu bringen, die mich Stich um Stich vernäht, rhythmisch einsticht und aufreißt und mich an den Autositz pinnt. Was sich bewegt, wird zurechtgestoßen. Der Schmerz ist ein Dynamo. Vor meinen Augen erhellt sich die Fahrzeugkabine, ich erkenne die Grimasse vom Sonntag wieder. An den angelaufenen Scheiben haften Körperspuren, verwischte Löcher im Dunst, die mich die Bäume sehen lassen. In einer Fensterecke defloriert die hitzige, stechende Eile, die diesen Wagen beherrscht, sechsblättriges Eis. Jeder Fingernagel, jeder Türgriff erscheint überscharf, mit feinsten zugeschnittenen Kanten, Bilder wie Rasierklingen zerschneiden mir die Augen. Wenn er nicht sofort aufhört, muss ich schreien.
    Er kommt zum Höhepunkt. Dann ist es ausgestanden.
    Bald wird ein Jäger, ein Karibu oder ein Kojote neugierig an dem gräulich-blassen Gummi schnuppern, der da, achtlos aus dem Beifahrerfenster geworfen, im Schnee liegt, die Außenhaut voller Schmerzpartikel.
    Wir fahren. Erreichen die Centennial.
    Ich steige aus und taste im Gehen nach der kleinen, hellblauen Pille in meiner Tasche. Es ist vorbei.

27.
    »Wenn ich mich niederlegte, sprach ich: Wann werde ich aufstehen? Bin ich aufgestanden, so wird mir’s lang bis zum Abend, und mich quält die Unruhe bis zur Dämmerung.« (Hiob)
    Die Bilder dieser Tage, es sind die ersten Februartage, nein, es WAREN die ersten Februartage – wohin mit ihnen, wohin nur?
    Ich lasse sie nicht gerinnen, will nicht, dass sie sich verfestigen, fürchte mich vor Krustenbildung, Schorf und Erstarrung. Ich gönne ihnen keine Substanz, keine Schwere. Ich will ihr Gewicht nicht spüren, weigere mich, diesen Ballast auf mich zu nehmen, bin nicht zur Lastenträgerin geboren, fürchte einen krummen Rücken und Schlimmeres. Natürlich trocknen sie trotzdem, die Abzüge jener Nacht. Fertig entwickelt hängen sie da, verkleben mir den Schädel.
    Aber langsam, fast unmerklich, verlieren die Bilder ihre Lebendigkeit dann doch. Gewöhnung und Vergessen setzen ein. Ich helfe dem nach. Entzweie, was zusammenhängt, trenne Bezüge, verschiebe, vereinzle die schmerzhaftesten Stücke. Das klebrige, milchige Weiß zwischen aufgeklappten Schenkeln verbanne ich in die entfernteste Ecke meiner Schädelgalerie, das Bild grünlicher Haut in die entgegengesetzte. Meine Angst fährt die Fingernägel aus, ­zerkratzt Oberflächen, zerreißt, zerfetzt und zerteilt die Leinwand dieser beiden Februartage. Ein Mosaik aus Lumpen, dessen Farben verlaufen, ineinander rinnen und sich zu schmutzigem Nonsens ­mischen.
    »You’re so sexy ⁠…«
    Immer wieder dasselbe Mantra. »You’re-so-sexy-You’re-so-sexy-You’re-so-sexy«.
    Auf einmal hab ich es im Ohr, dieses Gestöhne. Es überfällt mich, wenn der Morgen graut oder Stille herrscht; wenn Ruhe sein soll, und nur noch das Kratzen und Gleiten von Schreibstiften und das Atmen der mich umzingelnden Mitschüler zu hören sein sollte. Ich klage nicht, verwandle mich stattdessen bei jeder Gelegenheit in den Seemann. Immer bin ich in Trinklaune, singe wütend, verfluche das Wasser und lobe den Rum. Das gefürchtete Monatsende dicht vor Augen, verzichte ich auf weitere Kirchgänge, kümmere mich um nichts mehr außer um meine Jungs. Ich schwebe durch die Wochen, überlasse es meinem Körper, die Sonnenauf- und -⁠unter­gänge zu zählen. Die Glieder wollen keine Ruhe geben, künden mit stetig zunehmendem Prickeln vom Ablaufen unserer Frist. Meine innere Uhr ist

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