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Export A

Export A

Titel: Export A Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kränzler
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vergessen, die Haustüre zu schließen; sie steht sperrangelweit offen. Das Partyvolk ist ausgeflogen, hat in wilder Panik die Flucht ergriffen, sobald es die Ankunft der Polizei gewittert hat.
    Die Gesetzeshüter werden für ihre Razzia den falschen Zeitpunkt erwischen. Man könnte fast meinen, wir hätten sie selbst geplant.
    In wenigen Stunden wird die Basketball-Mannschaft der Porter Creek Secondary High School auf dem Weg zu ihrem Auswärtsspiel in Fairbanks, Alaska sein. Wenn die Uniformierten hier auftauchen werden, wird Josh bereits die Grenze überquert haben, um auf amerikanischem Boden einen Ball zu dribbeln.
    Derrick und Blake haben sich seit Tagen nicht mehr blicken lassen. Ich vermute, sie haben sich bei ihren Eltern zu Hause verkrochen.
    Bernies Rücken habe ich letzte Nacht noch gesehen:
    Ich stehe am Wohnzimmerfenster, hinter mir Höllenlärm, und kühle mir die Stirn am Fensterglas, als ich seinen Schatten im Schnee entdecke. Behutsam lege ich die Handfläche auf die kleiner werdende Berniefigur und helfe ihr, die Einfahrt hinaufzuklettern. Sie erreicht die Straße, tritt in die orangefarbenen Kegel der Laternen, und für einen Moment ist mir, als drehe sie sich zu mir um. Ich winke. Dann werde ich vom Partytumult verschluckt, angegröhlt und zum Anstoßen aufgefordert. Beim nächsten Blick zum Fenster sind Lichtkegel und Glas leer.
    Menschen und Gegenstände rumsen gegen Wände, Bässe lassen die Böden pulsieren. Faustgroße Löcher und Verwüstung in jedem Zimmer.
    Um 2 Uhr früh klingelt es. Die Nachbarin steht, die Arme fest um den Körper geschlungen, mit bebender Unterlippe und zitternder Stimme auf unserer Veranda. Sie friert, hat Angst, ist wütend. Im Überschlagen ihrer Stimme liegt ein Schluchzen, ihr Weinen ist ganz nah. Ich brauche einen refill.
    In all dem Chaos bittet mich jemand um eine Schere. Seltsamerweise erscheint mir diese idiotische Bitte plötzlich unheimlich wichtig. Hektisch durchsuche ich Schränke und Schubladen und werde tatsächlich fündig. Wenige Minuten später wankt eine johlende Rotte KPler ins Haus, sie stützen einander und klopfen sich siegestrunken auf die Rücken. Einer hat das Telefonkabel der Nachbarn gekappt, »so they can’t call the police ⁠…« Dafür also die Schere.
    Spätestens jetzt ist klar: Dies ist die letzte Nacht, der letzte Streich.
    Der Schnitt durchtrennt unsere Nabelschnur zum mintgrünen Haus endgültig, es wird uns nicht länger mit Partyräumen und Schlafplätzen versorgen.
    Ich stehe noch immer im Gang. Es ist kalt. Mein Blick klebt an Joshs Händen. Hastig zerrt er den Reißverschluss zu, wirft sich die Tasche über die Schulter und stürmt an mir vorbei. Auf der letzten Stufe fällt ihm etwas ein. Zögernd setzt er den Fuß auf den Treppenabsatz. Ein kleiner Ruck geht durch seine Schultern, dann dreht er sich um.
    Abgehetzt sieht er aus. Über dem braunen Auge hebt sich eine hilflose Braue, das blaue springt ungeduldig hin und her.
    »Lis’, you ⁠…«
    Ich schüttele den Kopf.
    »No ⁠… you go ahead.«
    »But –«
    »I’ll be fine.«
    »Are you sure? I mean –«
    »Listen: I’LL BE FINE ! Now get going, the cops will be here any minute.«
    Er rührt sich nicht vom Fleck, ringt mit sich, zweifelt. Ich sammle Kraft.
    »You want me to kick you out or what?«
    Mein Tonfall entlockt ihm ein kleines Grinsen. Er winkt mich zu sich heran.
    »Come here, give me a hug.«
    Wir umarmen uns, erlauben uns ein Klammern, nur einen Atemzug lang, dann rennt er zum Auto.
    »Take care«, flüstere ich vor mich hin und schließe die Tür.
    Ich bleibe allein in der Stille. Das Haus gehört mir.
    Fahl und grau liegt das Morgenlicht auf den zersprungenen Küchenfliesen. Eine Sprungfeder ragt aus der Sofalandschaft, die Polster scheinen ihre Bezüge gesprengt zu haben, im Stoff klaffen Wunden. Ein dunkelroter, leberförmiger Fleck bildet das Zentrum der Seenlandschaft auf dem Teppich, daneben Glassplitter und Happy-Meal-Verpackungen.
    Langsam und vorsichtig balanciere ich auf Zehenspitzen durch dieses Stillleben der Verwüstung, zeichne Wandkrater mit dem Zeigefinger nach, statte jedem Raum einen Besuch ab und erweise dem Haus die letzte Ehre.
    Mit Joshs Zimmer endet meine Runde. Ich sitze in seinem Stammsessel und stecke die Lichtschlange ein, schlinge meinen Blick fest um das blaue Leuchten, mache mich an der Linie fest, lasse den Raum im schlammigen Dunkel verschwimmen und staune.
    Der blaueste aller Himmel hat sich auf den schmalen Strom

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