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Export A

Export A

Titel: Export A Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kränzler
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of the importance of good attendance and punctuality ⁠… I’m afraid I’ll have to call your sister ⁠…«
    Fehlstunden. Verschwundene Stunden. Die Sanduhr hat ein Loch.
    Der Wind verweht die Quarzkörnchen. Kleine Zeiteinheiten wirbeln unwiederbringlich durch die Luft, prasseln auf fremde Windschutzscheiben und mischen sich in den Straßenstaub.
    Ich hätte sie gerne wieder, all die verlorenen Stunden, in denen ich nichts als älter geworden bin. Davon will der student counselor natürlich nichts wissen. Ihn interessieren nur die fehlenden Schulstunden, und ich kann mir selbst nicht erklären, wann und warum ich der Schule ferngeblieben bin. Keine Ahnung, wo ich war, oder was ich gemacht habe. Die Vormittage sind weiße Tipp-Ex-Flecken.
    Er redet weiter auf mich ein. Sätze, deren Enden nach oben gebogen sind, die in fragenden Höhen enden, höre ich nicht. Fragen werden weder bearbeitet, noch beachtet, noch bedacht.
    Der Februar ist ein anstrengender Monat.
    »Die Pfeile des Allmächtigen stecken in mir, mein Geist muss ihr Gift trinken, und die Schrecknisse Gottes sind auf mich gerichtet.« (Hiob).
    Tausend Fragen, tausend Bilder, tausend Milliliter – meine Leber und ich, wir filtern wie besessen, entgiften aufs Eifrigste.
    16 Jahre habe ich gelebt, ohne mir auch nur einen einzigen Damm zu errichten. Jetzt ist es zu spät. Die Konsequenzen brechen herein und überschwemmen mein Land.

28.
    Die Tage vor unserem endgültigen Rauswurf zu rekonstruieren, ist mühsam. Ich versuche, die wenigen klaren Momente einzusammeln, die wie Glasmurmeln über einen schwankenden Boden rollen. Wie eine Katze jage ich die kleinen Kugeln, in denen noch Licht ist, versuche, sie aneinanderzureihen, fädele sie auf mein Zeilengarn, halte mir die Kette aus Widersprüchen und Ungereimtheiten vor, wage mich an Beschreibungen, die immer unverständlicher, undurchsichtiger werden und endlich im Papierkorb landen. Nur diese kleine Episode, die sich in der Woche vor meinem Auszug aus der Centennial ereignet hat, lasse ich stehen:
    Heute habe ich einen Termin bei »Northern Esthetics«, einem win zigen Piercingstudio in Downtown Whitehorse, wo sich die Mehrheit meiner Bekannten regelmäßig verschiedene Körperteile durchstechen lässt. Pünktlich betrete ich das Studio, bereit, meine Schmerzfreiheit zu beweisen. Ich ziehe den beigefarbenen Vorhang zu, setze mich auf eine mit weißem Einwegpapier überzogene Untersuchungsliege und mache den Oberkörper frei. Gänsehaut schauer überlaufen mich, als der Gummihandschuh der tätowierten Frau mittleren Alters seinen weißen Zeigefinger krümmt und mehrere Pumpstöße Desinfektionsspray auf meine rechte Brust spritzt. Vorsichtig hebt meine Brustwarze ihr scheues, korallenfarbenes Köpfchen. Die Handschuhe schnappen zu, werden zu Gummizangen, die das zarte Ding in den Schwitzkasten nehmen. Es gibt kein Entrinnen mehr.
    Ich beobachte die dicke Nadel, die sich dem blässlichen Rot in die Seite bohrt. Eine kleine Hinrichtung, in Zeitlupe vollstreckt. Ein silbernes Ringlein besiegelt und beglaubigt den Vorgang. Dieses kleine, silbrige Siegel, dessen Mitte eine blaue Perle ziert, martert von jetzt an mein Korallenköpfchen. Bauch und Schlüsselbeine schielen bewundernd nach dem Krieger mit Kopfschmuck auf dem Porzellanhügel. Und ich? Ich habe nichts gespürt. Nicht das Geringste.
    Seht her, ich bin frei von Schmerz! Frei, frei, frei!
    Beringt, beschwingt und bestätigt verlasse ich das Piercingstudio.
    Vielleicht klappt es ja doch mit dem Vergessen, denke ich und schalte den Discman ein.
    Als der Bus kommt, ist die Sonne längst verschwunden. Die Erde hat sich gedreht. Meine Füße haben die Haltestelle 46 mal umrundet. Noch 32 Minuten bis zur Endhaltestelle. Nach 29 wechsle ich die CD. Die Bustür gehorcht auf Knopfdruck und öffnet ihre Schleusen.
    Ich drücke die Play-Taste und das Profil meiner Schuhe in den Schnee. Meine Schritte passen sich dem Rhythmus von The Offspring an. Dexter Hollands Stimme begleitet mich bis zur Centennial. Innerlich singe ich mit:
    »There was a time, looking through myself wanting to pretend if I escaped, I could fill myself I don’t think you can been far and wide but that hole inside never really leaves I went away, what I really left left behind was me
    It’s telling me to be on my way home ⁠… million miles away I can’t stay I can’t stay million miles away.«

29.
    Ich stehe im Gang und sehe zu, wie Josh seine Tasche packt. Es zieht. Irgendjemand hat

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