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Export A

Export A

Titel: Export A Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kränzler
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gestellt. Sie tickt die Tage herunter.
    Doch meine Auslöschungsversuche werden jäh gestört, sabotiert durch wütende elterliche Anrufe und schwesterliche Ermahnungen.
    Besorgten Lehrkräften der Porter Creek Secondary High School ist aufgefallen, dass sich meine Fehlstunden nicht nur häufen, sondern auftürmen, hoch und höher. Offensichtlich sahen sie sich genötigt, diese Beobachtungen an meine Erziehungsberechtigten weiterzuleiten. Das entfachte Misstrauen zieht weitere Kontrollen nach sich. Nicht nur mein Alltag, auch meine Kontobewegungen werden unter die Lupe genommen. Zahlenkolonnen sagen gegen mich aus. Im Schulgebäude schnuppern Spione in Cordhosen an meinem Atem. Tausend Augen glotzen in mein Leben, ohne zu sehen, was wichtig ist. Instanzen, die überwachen und kontrollieren, und doch nichts verhindern können. Was sie zu bedenken geben, sind Sprüche aus Asche, ihre schützenden Bollwerke Lehmhaufen. Sie haben keine Ahnung.
    Erklärungen wollen sie! Immer wieder Erklärungen. Ich sage nichts mehr, gar nichts mehr, lasse das Telefon weiter klingeln. Wo ist das Geld, wollen sie wissen, wo ist das Geld? Wo warst du in all den Stunden, fragen sie mich, was hast du getan? Tapfer schweige ich. Schließlich bin ich Seemann! Ich trinke und singe, aber sage kein Wort.
    Am Donnerstag habe ich die Wolldecke in die Mülltonne getreten. Minutenlang starrte ich mit brennenden Augen auf das gestrickte Stück Elternhaus. Ein Stück Zuhause im Restmüll. Ich habe keine Wahl.
    Woran soll ich mich jetzt festhalten?
    Ich wünsche mir das Gesicht meiner Mutter herbei und erschrecke. Ich kann es mir nicht ins Gedächtnis rufen. Verzweifelt hangle ich mich an den Fakten entlang, denke an ihr dunkles Haar, will mich zu Stirn, Brauen und Augen vorerinnern und sehe – nichts. Nichts und darunter etwas Tierisches, Grimassenhaftes, Männliches … Aufhören, sofort aufhören! Lass das Denken, lass das Erinnern! Geh nach oben an den Kühlschrank! Halt dich fest, halt dich an der Flasche fest und lass es brennen. Klopf bei Josh, frag ihn, ob er was rauchen will, nun geh schon, geh! Wehleidiges Opfergetue, sentimentale Grübeleien ⁠… Damit muss Schluss sein, hörst du, Elisabeth, Schluss sein, ein für allemal!
    Ich wollte niemals etwas tun, was Konsequenzen hat. Das hat sich bis heute nicht geändert. Ich weigere mich, die Konsequenz anzuerkennen, diesen Denkfehler, und lebe ausschließlich im Moment, in der Vereinzelung, Moment für Moment für Moment. Da gibt es keine Konsequenz. Auf A folgt nicht B folgt nicht C.
    Auch die eiserne Kette von »heute«, »gestern« und »morgen« verabscheue ich zutiefst.
    Der Seemann bietet jeder menschlichen Logik die Stirn. Ich befahre mein Meer, bin ein Tropfen in einem Ozean voller Leben. Atemzug für Atemzug kondensiere ich ins Blau. Meine Bläue versiebenfacht sich, ich segle weiter. Ich versammle Fässer voll Rum unter der Flagge der Unverwundbarkeit und lasse die Pest über die Planke gehen. Kapitän Kerz, das bin ich.
    Der Mann mit den braunen Stiefeln?
    Nur eine Nebenrolle, die ich Kyle getauft habe und mitspielen lasse. Das hat keine weiteren Konsequenzen. Er wird verschwinden, wenn ich es befehle, und davonflattern wie Geldscheine, die sich selbst zu grünlichen Kamikazefliegern falten und todesgewiss auf schneematschige Pfützen zusteuern, wo sie die sichere Auflösung , Auslöschung und endgültige Entwertung erwartet.
    Wo fliegt es hin, das Geld? Sag es uns, Tochter!
    Ich weiß es nicht. Mein Körper ist ein undurchdringlicher Block aus Schweigen.
    Was mit dem Geld passiert ist, wollen sie wissen? Nun, es ist vergangen, wie alles vergeht. Ich hab’s benutzt, wie ich benutzt wurde, verschwenderisch und gedankenlos. Anpassung könnte man das nennen. Wofür sollte ich mich rechtfertigen?
    Das Leben gebiert uns alle ungefragt. Es zerrt uns aus den weichen, sonnengebräunten, nach Creme und Milch duftenden Armen unserer Mütter und wirft uns auf die Straße. Wir leben und handeln, ohne zu wählen.
    Und wieder hallt mein Name durch den Schullautsprecher.
    »Elisabeth Kerz, please report to the office ⁠…«
    Die peinlichen Befragungen wollen kein Ende nehmen.
    »Take a seat. You know why you’re here, don’t you? We’ve had this talk before. Well, I was looking for your name on last week’s attendance list ⁠… Couldn’t find it on Monday, couldn’t find it on Tuesday ⁠… I thought we had an agreement? Elisabeth, you’re a smart girl. I shouldn’t have to remind you

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