Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Export A

Export A

Titel: Export A Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kränzler
Vom Netzwerk:
aufmerksam Matlocks Kampf für Gerechtigkeit verfolgt. Sobald der Abspann über den Bildschirm flimmert, katapultiert er sich schwungvoll aus dem Sessel und schießt ins Schlafzimmer, um sein Hemd für den morgigen Tag zu bügeln. Humphrey arbeitet als Correction Officer im Whitehorse Correctional Center, ist also Wärter im einzigen, heillos überfüllten, Knast des Yukon Territory, wo 70–90 % der Insassen indianischer Abstammung sind, und 90 % Suchtprobleme haben. Er stammt ursprünglich aus Ungarn und ist als junger Mann leidenschaftlicher Amateurboxer gewesen, hat es bis zu den Olympischen Spielen geschafft, wo er um Bronze boxte und gewann.
    Geld hat er mit dem Boxen nicht verdient. Auch nach Olympia nicht.
    Er ist nicht besonders groß. Ein sehniger, drahtiger Kerl mit kurzen, weißen Borsten über der zerfurchten Stirn und einer prägnant eingedellten, mehrmals gebrochenen Nase. Sein schüchterner Mund kann sich bis nah an die blauen, leicht zu Tränen gerührten Augen verziehen, wenn er einmal lächelt.
    In der Kirche betreut er den Chor, und seit ich seine Vergangenheit kenne, möchte ich ihn zu gerne einmal dirigieren sehen und mir vorstellen, wie sich seine fuchtelnden Hände plötzlich zu Fäusten ballen und dem Pastor gehörig auf die Fresse geben. Aber ich gehe ja nicht mehr zur Kirche. Nicht einmal dafür.
    Dafür beobachte ich Humphrey beim Bügeln und Haferbrei anrühren. Morgens sitzen wir einvernehmlich unser karges Mahl löffelnd am Frühstückstisch. Der alte, asketische Abstinenzler und das schlaflose , verkaterte Schneewittchen. Blassnäsig, schwarzhaarig, mit blutrot geäderten Augäpfeln, den Himbeermund müde um den Blechlöffel geformt, erschöpft, schweigend.
    Ich mustere Humphreys Uniform und muss daran denken, dass auch Tyler diese Uniform trägt. Humphrey hat seinem Sohn die Stelle beschafft.
    So viel Güte, Wohlwollen und Fürsorge. Und das am frühen Morgen. Zu viel. Viel zu viel für meinen Geschmack und meinen Magen voller Rumsäure.
    Ich schiebe den Teller weg.

33.
    Ich sitze in meiner Schachtel, meinem Zimmer im Schrankformat, meiner mit Teppich und Tapete ausstaffierten Box. Mit dem Rü cken lehne ich gegen den Matratzenturm, der mein Bett ist, und fürchte mich vor den kommenden Stunden. Es wird sein wie immer.
    Tagsüber schrumpfen die Gedanken zu bleiernen Kugeln zusammen und rollen ins dichte Teppichmoos. Ein gräulich-schwarzer Bodensatz im Schattenreich unter der Schlafstätte.
    Die Matratzen sind zu weich. Aber irgendwann einmal muss ich mich hinlegen. Dann spüre ich jede Kugel einzeln durch die Matratzen gegen meine Wirbel und Rippen drücken.
    Die Nacht hat den Finger am Abzug. Sie bedroht und zwingt mich, meine Gedankenmunition zu verschießen. Ich ziele auf meinen Schatten. Nehme die Vergangenheit unter Beschuss. Jage dem verschwommenen Gesicht in der Fensterscheibe eine ganze Salve Wahrheit zwischen die Augen.
    Es ist acht Uhr abends. Noch ein paar Stunden Gnadenfrist, bevor ich in die Bleigefilde hinab sinke.
    Eben war ich noch mit den anderen im Wäldchen und habe mir meine Dosis verabreichen lassen. Die Beinchen unterhalb meiner Hüften sind noch ganz starr vor Kälte von diesem abendlichen Ausflug. Ich strecke sie aus. Meine Füße stoßen gegen die Kommode, tauen auf und kribbeln ängstlich, als ob sie sich plötzlich ihrer eingezwängten Lage bewusst würden.
    Schillernd ist mir zumute. Glücklich und glückbringend. Das bin ich. Ein glänzender Käfer. Ein Skarabäus. High und heilig. Das bin ich. Ein Pillendreher. Ein Gedanken-aus-Scheiße-vor-mir-her-Roller, aus dem tausend zitternde Fühler wachsen. Feinfühlige Vielfüh lerin. Ich. Gefangen in dieser Streichholzschachtel, weil ich schön bin. Weil ich regenbogenschwarz bin, wie Benzin.
    Ich pansche die Milch mit Rum, bläue mir ein, nach dem Namen dieses Wundermittelchens zu fragen, und trinke auf Bernies zauberhafte Hausapotheke. Hilft wirklich ausgezeichnet.
    Da! Ein Geräusch! Ein Klopfen an der Tür.
    Jemand späht in meine Schachtel. Nervend-nöhlendes Gequäke aus 150 cm Höhe.
    »Liiisaaah? Can I come ihiin?«
    Ein Schlafanzug, quergestreift und neapolitanerwaffelfarben, schiebt sich ins Zimmer. Kleine Kim, immer zur unrechten Zeit.
    Sie mustert mich interessiert.
    »You sure like your milk, don’t you?«
    Die Nase im Glas murmle ich Zustimmendes.
    »I like hot chocolate! Mmmhm ⁠… Hot chocolate is yummy. Hot chocolate and Soda! Any kind of soda! AND marshmallows. That’s what I like

Weitere Kostenlose Bücher