Export A
Handgelenke ab und lege der Rückwand die Hände auf. So aufgespannt liege ich zwischen den Zimmerwänden und lausche dem Gluckern in meinem Bauch.
Ich bin zu groß für diesen Zimmerwürfel mit 2 Metern Kantenlänge. Diese Feststellung verblüfft mich, war ich doch mit meinen 170 cm stets nicht nur das jüngste, sondern auch das mit Abstand kleinste Familienmitglied. Ich bin daran gewöhnt, mich kurz und winzig zu fühlen, meine Schuhe zwischen andern Latschen doppelten Ausmaßes abzustellen und durch hohe Zimmer zu wandern, in denen sich überlange Betten ausdehnen.
Hier lassen mir Kommode und Schrank, die sich irgendwie neben das Bett gequetscht haben, keinen Platz für sit-ups, Liegestütze oder sonstige Quälereien, die ich zur Gedankenauslöschung und Schlafförderung brauche. Das Bett ist dafür zu weich. Unmöglich, darauf irgendeine Form körperlicher Selbstzüchtigung zu performen. Meine Versuche scheitern und versinken kläglich in watteweichen Polstern.
Immer noch besser als Mendenhall, versuche ich mir einzureden. Jedenfalls scheinen Humphrey und Mona ihre bescheidene Bleibe bedeutend lieber mit mir zu teilen als Schwester und Schwager.
Sie haben Erfahrung darin, Bedürftige, Gestrauchelte und Verlassene aufzunehmen.
Ihre eigenen Kinder waren bereits aus dem Haus, da nahmen sie die kleine Kim, ein dunkelhaariges, dürres Ding indianischer Abstammung, zu sich. Sie leidet am FAS -Syndrom.
Damals stand sie brüllend in einem kleinen Laufstall im Hinterzimmer einer verwahrlosten, stinkenden Wohnung. In ihrem Mund faulten ein paar braune Stummel. Die von dreckigen Windeln wund geriebenen Pobacken leuchteten rot wie ihr Kirschlolli, mit dem sie wild auf unsichtbare Wesen einhieb. Brauner Schmutz haftete auf ihren klebrigen Fäustchen. Einige Kilometer entfernt hastete derweil ihre zerzauste Mutter die Second Avenue entlang, geradewegs auf den Schnapsladen zu. Sie wollte sich nicht verabschieden.
Heute ist Kim 10 Jahre alt und zeigt ihre zweiten, fast vollständig geschlüpften Zähne mit breitem Dauergrinsen.
Aber Humphreys und Monas Trailer-der-Nächstenliebe bietet nicht nur kleinen Mädchen ein Zuhause. Auch Dave verkriecht sich zeitweise in der Maple Street, Dave, der sich mit mir und dem Rest der Bande die Rückbank der Limousine geteilt hat, als Jordan mit uns zu den Hotsprings fuhr. Humphrey und Mona sind tatsächlich die Großeltern von einem unserer ehemaligen Stammgäste und Kunden. Ihr Trailer ist die Zuflucht, die er aufsucht, wenn er die Streitereien seiner in Scheidung lebenden Eltern nicht mehr ertragen kann. Die Heftigkeit und das Ausmaß der Gewalttätigkeit dieser Streite ahne ich, wenn Dave zwei-, dreimal die Woche mit hängenden Schultern und müden Augen auf die Veranda geschlichen kommt. Manchmal sitzen wir zusammen vor dem Fernseher. Wir reden wenig, schweigen einträchtig miteinander.
Wenige Wochen nach meinem Einzug zieht Dave endgültig aus, sowohl bei seinen Eltern, als auch aus unserem Trailer. Er wohnt von nun an bei seiner Freundin Chrystal, einer kleinen, pummeligen Rothaarigen, die meist pink- oder fliederfarbene Trainingsanzüge aus Nickistoff und Sonnenbrillen mit rotgetönten Gläsern trägt.
Beinahe täglich werden Bernie und ich Zeugen eines Beziehungsdramas, das meist mit einer wütend davonstürmenden Chrystal endet und dazu führt, dass die Schule für beide beendet ist, weil Dave den Rest des Tages mit Beschwichtigungen und Versöhnungsangeboten verbringen muss. Wenn sie sich schon vor der Mittagspause streiten, ziehen Bernie und ich alleine ins Wäldchen. Vier Hände, ein Joint.
Seit den Telefonverhören über den Verbleib des vielen Geldes wurde meine monatliche Zuwendung radikal auf 100 Dollar heruntergekürzt. Das Geld für Miete und Essen geht direkt an Humphrey und Mona.
Schlagartig bin ich zum Sozialfall geworden, dankbar für jedes geschnorrte Gramm.
Ich gebe mir Mühe, meinen Geldmangel zu vertuschen, was mir aufgrund der in Whitehorse herrschenden Partykultur, die ohnehin stets ein Zuviel an Schnaps und Co bereithält, und nicht zuletzt dank Bernie, der mich in regelmäßigen Abständen an der Beute seiner Raubzüge teilhaben lässt, auch einigermaßen gelingt.
Die weitaus unangenehmere Sanktion ist die Ausgangssperre nach 23 Uhr.
Glücklicherweise zeigen sich Humphrey und Mona großzügig und quittieren meinen ersten Ausgang, bei dem ich die Regel bereits missachte, lediglich mit einem sanften, besorgten Tadel und dem Hinweis, ich solle doch
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