Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Export A

Export A

Titel: Export A Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kränzler
Vom Netzwerk:
unter meinen Brüsten erstreckt. Mein Vater schweigt.
    Ein schwüler Luftzug streift sacht über meinen Rücken. Er trägt ein Flüstern mit sich.
    »You’re so sexy ⁠… you’re so sexy.«
    Ich presse die Hände gegen die Ohren und laufe, laufe so schnell ich kann, die Arme wie zur Erschießung erhoben. Meine Beine hasten und stolpern von einer Ecke in die andere, kein Ausgang, nur Trümmer. Kein Mensch, nur Stimmen, kein Zuhause, nur Schutt. Vom Himmel fällt weiße Asche, der Boden schluckt meine Spuren wie Treibsand. Was ich berühre, verpulvert.
    Ich hinterlasse nichts.
    Meine Schreie brechen an den Innenseiten meiner Zähne. Ich bleibe lautlos, bleibe stumm.
    Im Zentrum der weißen Ebene, auf der ich stehe, schimmert eine Keramikschüssel.
    Ich muss dringend. Ich muss so dringend!
    In mein erleichtertes Pinkeln tropft es tomatig. Die Narbe blutet. Zwei Rinnsale, grünlich-gelb und sattrot, plätschern ins Klo.
    Mit den Fingern stütze ich die Wundränder und schließe den Wundmund. Ich muss mich fest zuhalten. Nur nicht tropfen, vielleicht heilt es dann.
    Wieder Lärm. Diesmal ist es die Glocke, die vom pfeilspitzen Kirchturm gellt. Lauthals schrillt sie meine Schwester herbei.
    Streng spricht sie aus der Kirchenecke:
    »Das hättest du nicht tun dürfen. Keine Erleichterung, hörst du, keine Erleichterung!«
    Um mich wird es rot, hochrot. Die Glocke läutet mein Ende ein. Schwesterliches Mahnen zwischen den Schlägen.
    KLONG !
    »Keine Erleichterung.«
    KLONG !
    »Keine Erleichterung.«
    KLONG !
    »Keine Erleichterung.«
    Beim nächsten Ton bin ich wach, die Wangen nass, die Laken klebrig. Ich stinke nach Angst.

Maple Street.
    Das braune, prallgefüllte Kofferleder schmiegt sich an mein rechtes, jeansblaues Hosenbein und zwingt mich zu hinken. Ich verlagere den Oberkörper nach links.
    Das kofferbeschwerte Bein schleift Halbkreise in den Schnee. Alle drei Schritte muss ich pausieren. In jenen Pausen versuche ich, mich mit dem Gedanken anzufreunden, dass der Trailer, auf dessen Veranda ich zuhumple, mein neues Heim sein soll.
    Der eigentliche Trailer-Park, dessen Vorhut meine zukünftige Behausung bildet, liegt einige Hundert Meter entfernt an der Westseite der Sycamore Street, die die Grenze zwischen Mittel- und Unterschicht markiert. Die Maple Street ist der vierte östliche Arm der Sycamore und gehört damit dem Mittelschichtsteil der Nachbarschaft an. Dementsprechend kleinlaut duckt sich der weiße Trailer mit der türkisgrünen Borte zwischen die pseudo-schicken Bürgerhäuser. Manchmal wirft er sein flackerndes 40-Watt-Licht auf den Gehsteig, begegnet den angewiderten Blicken und ausgestreckten Zeigefingern verzogener Gören, erschrickt und schlägt beschämt die Rollläden nieder.
    Was habe ich denn erwartet?
    Ein Straßenname reichte aus, um mir neue Hoffnung zu machen. Mal wieder.
    Habe ich mir nicht fest vorgenommen, mich nie mehr täuschen zu lassen?
    Mit letzter Kraft schleudere ich den Koffer auf die Veranda, drücke den Klingelknopf und nehme mir vor, hart zu sein.
    Was auch immer mich im Inneren dieser Wohnschachtel erwartet, soll keine Bedeutung für mich haben. Es ist der Ort, an dem ich schlafen werde, weiter nichts.
    Stimmen und Schritte steuern auf die Tür zu. Ich ärgere mich über mein klopfendes Herz und verstecke die Hände in den Hosentaschen.

32.
    Das Grundstück, von dem aus ich mich von nun an täglich auf den Weg zur Schule mache, fällt sanft zum Briefkasten hin ab. Ein frustrierter, hängender Schulterhügel, der zu gerne ein Haus aus Stein und Mut getragen hätte und nun mit dem Vorlieb nehmen muss, was Humphrey und Mona gerade so finanzieren können.
    In manchen Nächten ist mir, als würden wir sanft abgeschüttelt, als rutsche der Trailer auf die Straße zu. Ein überdachtes Floß ohne Anker, das den Asphalt befährt, Kurs auf Süden nimmt und zielstrebig auf Downtown Whitehorse und den Yukon River zusteuert.
    Ich überlasse das Steuerruder den anderen, bleibe liegen und fixiere weiter den Mittelpunkt des Kreuzes, das die beschlagenen Scheiben meines Fensters zerteilt. Die Koje schwankt. Ich schenke mir nach. Der Rum ist ein Wiedersehensgeschenk von Bernie. Heute Morgen, auf dem Schulweg durchs Wäldchen, hat er ihn mir überreicht.
    Wenn ich mich zu voller Länge ausstrecke, ragen meine Füße übers Bett hinaus und bis zur Wand, so dass ich mit den großen Zehen die Tapete abtasten kann.
    Vorsichtig lasse ich die Arme nach hinten fallen, knicke rechtzeitig die

Weitere Kostenlose Bücher