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Export A

Export A

Titel: Export A Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kränzler
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Grautöne übergegangen. Im Wohnzimmer ist es dunkel und still. Vom vorabendlichen blauen Flackern ist ein kleines, rotglühendes Standby-Pünktchen übrig geblieben.
    Die Indianerin und das Kind schlafen tief und fest.
    Draußen biegt eine zweitürige, rote Limousine mit schräger Front und Stufenheck in die Maple Street ein. Eine schmale Gestalt huscht aus dem Trailer. In der Linken hält sie ein Paar Schuhe. Ihre Rechte umklammert einen großen, schwarzen Müllsack. Kurzes Innehalten auf der Veranda. Schuhe werden übergestreift und gebunden und knirschen bald darauf durch den Schnee des Vorgartens, geradewegs auf das rote Auto zu.
    Auf dem Bürgersteig begegnen sich ein schlacksiger, junger Mann mit kurzgeschorenen Haaren und ein Mädchen in abgewetzten Jeans.
    Mitten in einer der orangefarbenen Lichtpfützen bleiben sie stehen und umarmen sich.
    Der junge Mann lädt Lautsprecherboxen und eine Stereoanlage aus dem Müllsack ins Auto.
    Die beiden steigen ein. Erst auf der Sycamore Street schaltet der Fahrer die Scheinwerfer ein.
    Langsam erwärmt sich die Fahrgastzelle. Das Mädchen übernimmt das Schalten. Sie weiß genau, wann er kuppelt. Scheint eine alte Routine zu sein. Aus dem Autoradio scheppert Dr. Dres Album »2001«.
    Ab und an wenden Mann und Mädchen einander die Köpfe zu. Lippen bewegen sich. Bass und Beats verschlucken ihre Stimmen.
    Sie überqueren den Yukon River und parken. In ihrem Rücken die Wickstrom Road, vor ihnen der Fluss, dessen schaumbekrönte Stromschnellen Whitehorse einst seinen Namen gaben.
    Sie betrachten die weißen Mähnen der Wellenkämme. Das Wasser reißt ihre Worte mit Gedröhn Richtung Süden.
    Gesprächsfetzen in der Uferböschung:
    Er: »I’m moving to Dawson ⁠… have to ⁠… no choice.«
    Sie: »Sure ⁠… I understand.«
    In der Morgendämmerung kriecht der Wagen durch Downtown Whitehorse. Er klettert den Two-Mile-Hill hinauf und folgt der Straße bis nach Porter Creek. Mann und Mädchen wollen kein Ende der Fahrt und begrüßen erleichtert jede rote Ampel.
    Im Radio läuft »Out of the blue«, das 1977 bei Jet Records erschienene Album von ELO .
    An der letzten Straßenkreuzung ist mir, als hätten sich ihre Lippen berührt. Ich glaube, ich habe es gesehen, ein kleines Verschmelzen.
    Die Sterne verlöschen, die Fahrt ist vorbei.
    Das Mädchen geht auf den Trailer zu, der Mann fährt Richtung Highway.
    Die Erinnerung an diese Nacht schlägt getrennte Wege ein und ist bis heute ein Geheimnis.

Tyler.
    30 Jahre, männlich, Single, Correction Officer im Whitehorse Correctional Center. Keine Kinder, keine Haustiere. Er bewohnt einen schäbigen, umbrafarbenen Trailer mit schokoladenbraunen Fensterrahmen, von denen der Lack abplatzt. Die Adresse ist leicht zu fin den. Auf halbem Weg zwischen Porter Creek und Downtown taucht eine kleine Tankstelle mit angrenzendem Diner auf. Auf dem Dach des Diners prahlt eine riesige Leuchtreklame mit dem klangvollen Namen »Copper King«. Dort biegt man in die Prospector Road ein, die zu einer trostlosen, geisterhaften Wohnwagensiedlung führt, in der die meisten Trailer unbewohnt und unbewohnbar sind, und deren Anfang Tylers Trailer bildet. Wir scherzen oft über die »traumhafte Lage«. Immerhin sind es keine 50 m bis zur Tankstelle, wo man sich zu jeder Tages- und Nachtzeit mit dem Nötigsten versorgen, und damit über den Zustand der Nachbarschaft hinwegtrösten kann.
    Ich selbst habe die Gegend um den »Copper King« nie bei Tageslicht gesehen und bin dankbar für den orangen Weichzeichner der Straßenlaternen, die mildernde, reinweiße Schneeschicht und das dämmrige Zwielicht, das die Konturen verwischt und die Gebäude auf dem Schneegrund zu camouflageartigen Mustern verschmelzen lässt.
    Tylers Trailer gleicht sich den anderen an, unternimmt keinerlei Versuche, einladend oder wohnlich zu wirken. Nichts wird verschleiert oder gefällig gemacht. Das Gebäude erinnert an die gestrandete und vergessene Ladung eines rostigen Frachters. Ein Container, von dessen Inhalt niemand etwas wissen will, über den sich die Reederei ausschweigt.
    Brannte dort jemals Licht? Dunkel erinnere ich mich an den einen oder anderen Einrichtungsgegenstand. Die Möbel drängten sich im hinteren Teil des Trailers wie verschrecktes Vieh. Tylers mobiles Zuhause war ein einziger großer Raum mit zwei Türen. Eine führte ins Badezimmer, die andere hinaus auf die Prospector Road.
    Ein Boxsack, Hanteln und Hantelbänke, über denen mehrere Lagen Hemden und

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