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Export A

Export A

Titel: Export A Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kränzler
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ergötze mich an der roten Farbe, für die Azorubin, Cochenillerot A und Brillantblau FCF , oder kürzer, E122, E124 und E133 verantwortlich sind. Eine göttliche Farbe. Rubinrote, jiggelnde Scherben aus geschmacksneutralem, tierischem Eiweiß, für das Schweine und Rinder ihre Häute und Knochen gaben. Süße, magenfreundliche Glibbermasse. Die Päckchen zum Selbstanrühren sind auch nicht schlecht. Am besten mit zwei Teilen Wasser und einem Teil Wodka.
    Der schöne Name meiner Leibspeise bleibt hier in Kanada auf der Strecke. Begriffe wie »Kindergarten« oder »Blitzkrieg« bürgern die Nordamerikaner ohne weiteres ein. Vor »Götterspeise« schrecken sie zurück. (Wahrscheinlich, um zu verhindern, dass der gesamte Bible Belt auf die Barrikaden geht).
    22 Uhr.
    »The Store is closing now.«
    In Gedanken beim Rubinrot im Grellpink biege ich in die letzte in den Fressalienwald geschlagene Schneise ein, an deren Ende die Bäckerei und die Kassen liegen. Ich hebe die Augen zum Brotgeruch und dem »Bakery«-Schild.
    Zwei Typen lehnen lässig zwischen Theke und Backofen, die Kittel feierabendlich aufgeknöpft. Mit verschränkten Armen und gelangweilten Gesichtern beobachten sie die letzten Kunden auf dem Weg nach draußen. Der eine schaut erleichtert auf seine Armbanduhr. Der andere ist –
    Ich erstarre.
    Vollkommen steif stehe ich da. Der Mund trocken, die Gelenke verkeilt, mein Blick auf seine Schultern geheftet. Wie festgetackert verharren meine Augäpfel in ihrer Position. Schwarz zieht Schwarz. Sein Haarschopf sticht in meine Pupillen. Eine gnadenlose Bilderparade fährt durch mein Hirn. Ein ganzes Arsenal qualvoller Erinnerungen entpackt sich. Ich kenne diese Schultern, kenne diesen Schädel. Über der leeren Auslage schwebt Kyles Profil.
    »The store is closing now.«
    Die Stimme der »Super A«-Angestellten durchfährt meine Glieder. Ich drehe mich um und haste die Gänge entlang. Im Laufen ziehe ich mir die Kapuze tiefer ins Gesicht. Endlich erreiche ich die Kasse und schütte den Korbinhalt aufs Fließband. Mit zittrigen Händen zerre ich einen Schein aus der Hosentasche, Münzen fallen klimpernd zu Boden. Egal. Ich grabsche nach meinem Rückgeld und renne zum Ausgang.
    Neben der großen, gläsernen Flügeltür mit der »Super A«-Aufschrift hängt eine Pinnwand. Über dem hellen Kork formen acht pastellfarbene Bubblegum-Buchstaben die Überschrift »OUR STAFF «.
    Ich halte abrupt an, überfliege die Namen und finde, was ich befürchtet habe. Den Beweis, dass ich meinen Augen trauen kann. Schon in der ersten Spalte lese ich seinen Namen. Kyle Cruthers.
    22.07 Uhr.
    Es schneit in dichten Flocken. Die Luft ist so vollgestopft mit Plättchen und Prismen und sechsarmigen Sternen, dass ich kaum atmen kann. Ich umkreise die parkenden, unter weißen Masken verborgenen Autos, suche vergebens nach einer bekannten Karosserieform, einer abgespeicherten Farbe.
    Er muss also zu Fuß gekommen sein. Vielleicht wohnt er in der Grove Street. Holly Street oder 11th Avenue würden auch in Frage kommen.
    Das ist alles in der Nähe. Viel zu nah.
    Los, weg hier!
    Die Beine laufen, rennen. Mit brennenden Oberschenkeln und einer Schneekruste über den versalzenen Wangen komme ich in der Maple Street an, mache mir nicht die Mühe, Schuhe oder Jacke auszuziehen und steuere direkt auf die Küche und das Telefonbuch zu. Die Plastiktüte fällt mir aus der Hand. Ein Granny Smith kullert unter den Küchentisch. Ich reiße das Telefonbuch vom Regal und blättere mit Links, während ich die vom Tütetragen zur Kralle erstarrte Rechte am Hosenboden aufwärme. Die hastige Sucherei hinterlässt knittrige, rissige Spuren auf den dünnen Seiten. Cra⁠… Cre⁠… Cro⁠… Cruthers! Sechs Zahlen und eine Adresse in Porter Creek. Genau wie ich vermutet hatte. Vom »Super A« aus sind das keine fünf Gehminuten.
    Ich stehe noch eine ganze Zeit tropfend in der Küche und lausche den Stimmen aus dem Wohnzimmer, wo Mona, Humphrey und der Fernseher vor sich hinmurmeln. Der Hunger ist verflogen, mein Durst dafür umso größer.
    Mechanisch packe ich Äpfel und Jell-O in den Kühlschrank. Die Milch nehme ich gleich mit in mein Zimmer, wo ich mich mühsam aus meinen klebrigen, nassen Sachen schäle.
    Im Wohnzimmer wird es still. Es folgen die gewohnten Zahnputz- und Klospülgeräusche. Eine Viertelstunde später streife ich mir Monas alten Bademantel über. Ich lasse den Discman in die rechte Tasche gleiten, klemme mir den Milchkarton unter den Arm

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