Extra scha(r)f
Boden verbluten ließ.
»Bin gerade noch einmal davongekommen. Ich schulde dir was, ernsthaft. Ach, und danke, dass du meine Tasche zu mir nach Hause gebracht hast. Ohne sie wäre ich völlig verloren. Darin befindet sich praktisch mein ganzes Leben.«
Falsch, du beschissenes Arschloch, dein Leben befindet sich in deinem verdammten Hobbyraum, streng chronologisch sortiert.
Doch in meine Wut mischt sich aufkeimende Panik, weil Karl weiß, dass ich in seiner Wohnung war. Was weiß er sonst noch? Habe ich versehentlich die Tür zu seinem Hobbyraum offen gelassen? Hat Karl vielleicht kindischerweise ein Haar über Tür und Rahmen geklebt, wie ich früher an meiner Zimmertür? (Also gut, vor drei Monaten, nachdem ich bemerkt hatte, dass Emily heimlich Harveys SMS liest.) Augenblick, wozu die Panik? Eigentlich müsste Karl derjenige sein, der vor Angst ins Schwitzen gerät und sich fast in die Hosen macht. Seien wir ehrlich, was die Liga der schmutzigen, kleinen Geheimnisse betrifft, ist das Herumschnüffeln in einer fremden Wohnung längst nicht so schlimm, wie seine Sexualpartner ungefragt zu filmen.
Daniel versetzt mir einen Tritt unter der Theke. »Ich muss mit dir reden«, sage ich zu Karl, weil ich mich dazu gezwungen fühle, obwohl ich am liebsten gar nicht mit ihm reden würde - am liebsten würde ich ihn krankenhausreif schlagen.
»Das ist nicht nötig«, entgegnet er in unbeschwertem Ton. »Ich habe nicht vor, euch zu verklagen. Außerdem, die Narbe steht mir ganz gut.«
Was für ein Selbstvertrauen.
So verdammt cool.
Ahnt Karl überhaupt, dass ich Bescheid weiß? Falls ja, scheint es ihn nicht die Bohne zu interessieren. Daniel versetzt mir erneut einen heimlichen Tritt. Ich wünschte, er würde sich verziehen. Ich spüre, wie mein Gesicht rot wird, und mit einem Mal nehme ich die Kameras wahr, als wären sie extra für mich aufgehängt worden, um meine Demütigung aufzuzeichnen.
»Ich gehe mal besser nach oben. Die warten bestimmt schon auf mich«, sagt Karl und deutet auf den Fahrstuhl. »Keine Angst, ich werde mich von den Lautsprechern fern halten. Bis später mal, okay?«
Daraufhin wendet er sich ab und stolziert auf seinen langen Beinen davon, auf diese scheinbar lässige Art, die jedoch jahrelanges Tanztraining erfordert. Mein Kiefer klappt herunter auf diese doofe Art, für die überhaupt kein Training erforderlich ist. Glücklicherweise hat sich der Kameramann von mir weggedreht, um Karl zu filmen, während dieser sich entfernt.
»Tja, Karls Vorderansicht ist wirklich nicht zu verachten«, bemerkt Daniel, während er Karls Hinteransicht bewundert. Dann sieht er mich an. »Alles okay?«
Ich schüttle den Kopf, ohne ein Wort herauszubringen.
In diesem Moment klingelt das Telefon.
»Soll ich drangehen?«, fragt Daniel.
Ich nicke.
Er hebt ab, sagt den offiziellen Begrüßungstext auf und raunt mir dann zu: »Ist für dich. Deine Schwester, glaube ich. Soll ich sie abwimmeln?«
Ich nehme ihm den Hörer ab. Besser, ich gehe dran.
»Hi«, sage ich.
»Und, hast du schon angerufen?«, platzt Emily heraus.
»Wen?«
»Na, die Klinik, du Nuss. Du hast es mir versprochen.«
»Bleib mal locker, ja? Was ich versprochen habe, halte ich auch.«
»Kannst du nicht sofort da anrufen und mich so lange in die Warteschleife legen?«
»Nein, Emily, kann ich nicht. Ich bin hier mitten in der Arbeit, und außerdem ist heute das Fernsehen hier ... Nicht gerade der beste Zeitpunkt, um du weißt schon wo anzurufen.«
»Aber du rufst doch an?«
»Jaha, sobald ich dazu komme. Wo steckst du eigentlich? Hast du keinen Unterricht?«
»Ich mache heute blau. Ich kann nicht zur Schule gehen. Mein Bauch steht so weit heraus, dass alle es merken würden.«
»Sei nicht albern. Du gehst gefälligst weiter zur Schule. Du kannst jetzt nicht alles sausen lassen«, fahre ich sie an, da ich meine Wut nicht verbergen kann.
Gleich daraufhöre ich leises Schluchzen am anderen Ende der Leitung. Einen Moment lang vergesse ich, wie sehr Emily mich immer auf die Palme bringt, und beruhige mich wieder ein wenig.
»Es tut mir Leid. Emily? Bist du noch dran?«
»Hörst du etwa ein Belegtzeichen? Natürlich bin ich noch dran. Oh Mann, ich wusste, dass es eine völlig bescheuerte Idee war, dich anzurufen.«
»Du reagierst im Moment überemotional«, sage ich, immer noch mit bemerkenswert ruhiger Stimme. »Wir reden später weiter, und ich verspreche dir, dass dann alles nicht mehr so -«
»Verdammt noch mal, tu nicht so
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