Extra scha(r)f
großkotzig«, brüllt Emily dazwischen.
Jetzt kann ich das Belegtzeichen hören. Sie hat aufgelegt.
Ich blicke zu den Plasmafernsehern hoch, wo gerade Sister Sledge ihr »We Are Family« schmettern und sich als harmonisches Schwesterngespann präsentieren. Mann, die Programmmacher von VH1 machen das bestimmt absichtlich.
Ich klammere mich an der Marmortheke fest, sodass meine kunstvoll lackierten, künstlichen Fingernägel zu brechen drohen, als Rebecca und Velvet wieder auftauchen. »Und, wie läuft‘s?«, frage ich, wobei ich versuche, wieder eine professionelle Mimik und Haltung einzunehmen.
»Super, danke«, plappert Velvet los. »Becks kann super erklären.«
Gott allein weiß, was Becks ihr erklärt hat, aber ich zwinge mich zu Optimismus. »Gut«, sage ich. »Dann kannst du ja schon mal damit anfangen, den Kursplan für nächste Woche zu erstellen.«
Warum soll Velvet sich nicht nützlich machen in den acht Stunden, bevor sie wieder arbeitslos ist?
»Warum?«, entgegnet sie nervös, sodass klar wird, dass von dem, was Rebecca ihr beigebracht hat, nicht viel hängen geblieben ist.
»Weil der Plan sich von Woche zu Woche ändert«, erkläre ich. »Wir haben immer wieder Gasttrainer oder spezielle Workshops oder sonstige Einzelveranstaltungen im Programm. Deshalb hängen wir jede Woche einen neuen Kursplan ans schwarze Brett.«
Velvet sieht mich an, als würde ich russisch reden. Und zwar kein reines Russisch, sondern einen derben russischen Dialekt, nur um Velvet zu verwirren, sollte sie zufällig zu den wenigen Russischkundigen auf dieser Welt zählen (die mehreren Millionen russischen Muttersprachler natürlich nicht inbegriffen).
»Gut, dann leg mal los. Du kannst dich an den PC dort drüben setzen«, sage ich aufmunternd und zeige auf den Designermonitor auf dem Schreibtisch.
Velvet rührt sich nicht vom Fleck.
»Und? Was ist nun?«, sage ich in einem Ton, der leider ganz nach Lydia klingt.
»Es ist nur so«, erwidert sie mit Blick auf den Monitor, »dass ich nicht am Computer arbeiten kann.«
»Oh«, sage ich und füge, nachdem ich begriffen habe, verständnisvoll hinzu: »Keine Angst, das ist nur ein Mac. Funktioniert im Prinzip wie jeder andere Computer. Du musst nur immer daran denken, dass -«
»Du hast mich falsch verstanden. Ich kann nicht am Computer arbeiten, weil ich eine Sehnenscheidenentzündung im Handgelenk habe. Mein Arzt hat mir strikt verboten, an der Tastatur zu arbeiten.«
Na, großartig, Jamie, wirklich brillant, geht mir durch den Kopf. Du stellst eine Aushilfe ein, die nicht am PC arbeiten darf Und ich dachte immer; Aushilfen wären vor allem dazu da, den lästigen Schreibkram zu erledigen.
Wenigstens bleibt ein kleiner Trost. Velvet hat mir gerade einen perfekten Kündigungsgrund geliefert.
Ich hole tief Luft und sage: »Gut, ich habe eine andere Aufgahe für dich. Rebecca soll dir Studio 5 zeigen. Mayas YogaKurs müsste gleich zu Ende sein. Du kannst die Matten wegräumen.«
»Das geht nicht«, wendet Velvet ein, als hätte ich sie gebeten, mehrere Tonnen Ziegelsteine aus einem LKW, der knapp einen Kilometer entfernt steht, ins Studio zu schaffen. »Ich darf mich zurzeit weder bücken noch heben. Letzte Woche ist es mir nämlich ins Kreuz gefahren. Für die nächsten Wochen habe ich Krankengymnastik verschrieben bekommen, und so lange soll ich mich schonen.« Sie streckt die Brust vor und massiert ihren Lendenwirbelbereich.
»Darf ich dich was fragen, Velvet«, sage ich zögernd. »Hast du schon einmal in der Fitnessbranche gearbeitet?«
»Ach wo. Eigentlich will ich zum Fernsehen. Du weißt schon, als Moderatorin, wie Davina. Normalerweise würde ich mich nie in einem Fitnessstudio bewerben, aber das hier ist etwas anderes.« Sie blickt zur Kamera hoch und senkt ihre Stimme zu einem Flüstern. »Ich habe letzte Woche diesen Typen im Chinawhite kennen gelernt, und der hat mir den Tipp gegeben, dass das Fernsehen heute hier ist. Es kommt nur auf das richtige Tinning an, nicht wahr?«
Ich kann mir das nicht länger anhören. Ich stehe kurz davor, Velvet in Gegenwart von Daniel und Rebecca zu feuern und auch vor den Kameras von Channel Four. Ich muss mich abreagieren ...
»Wohin willst du?«, fragt Daniel. Er macht ein besorgtes Gesicht. Meins dürfte rot vor Wut sein.
»Ich muss telefonieren«, sage ich laut und hole das Handy aus meiner Tasche. Ich werde nach draußen gehen, in der Klinik anrufen und reichlich frische Luft schnappen, bevor ich noch
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