Extra scha(r)f
Seele reden muss, wage ich es. »Es war grauenhaft, Dad. Ich habe einen saublöden Fehler gemacht. Jamie hat mich angewiesen, mich um eine Producerin von Channel Four zu kümmern, aber ...«
Ich verstumme wieder, weil keiner mir zuhört. Mum und Dad sind, jeder auf seine Weise, in das Fernsehprogramm vertieft, und meine Probleme interessieren sie einen feuchten Kehricht.
Ich betrachte Dad in seinem Sessel mit seinem prallen, dicken Bauch, auf dem er bequem seine Kaffeetasse abstellen kann. Und ich betrachte Mum auf dem Sofa mit ihrer TV Quick. Ich habe etwas Mühe, in ihr den heißen Feger auf den alten Fotos von früher wieder zu erkennen - damals trug sie hautenge Satinoveralls und alberne Frisuren, weil sie wie die Dunkelhaarige von Abba aussehen wollte. Heute gibt sie sich damit zufrieden, auf dem Sofa zu sitzen und in unzähligen Wiederholungsstaffeln im Fernsehen ihre Jugend nachzuerleben. Vor vierundzwanzig Jahren entwickelte sie eine unschlagbare Anti-Theglou-Strategie. Heute zeigt sie lediglich Interesse daran, was in ihren Soaps passiert. Was ist aus ihr geworden?
Wird mich in vierundzwanzig Jahren dasselbe Schicksal ereilen? Werde ich dann den dicken Bauch meines Vaters und die Femsehgewohnheiten meiner Mutter haben? Werde ich Kinder haben, die kaum glauben können, dass ihre Mutter sich früher für Lara Croft hielt?
Wenn ich wie jetzt dicht neben meiner Mutter sitze, kann ich ihren grauen Haaransatz erkennen. Sie wird nie wieder wie die Dunkelhaarige aus irgendeiner Band aussehen. »Möchtest du einen Tee, Mum?«, frage ich. »Das wäre sehr nett von dir, Liebling«, erwidert sie.
Das bisschen, in dem Sie feststellen werden, wie dämlich ich bin
Die Nacht war grauenhaft. Der Morgen danach ist noch viel grauenhafter.
Vor lauter Grübeln habe ich fast kein Auge zugetan. Leider ist nichts dabei herausgekommen. Mir ist keine einzige gute Idee eingefallen, wie ich die kostenlose Fernsehwerbung für Jamie und damit meinen Job retten kann. Ich bin am Ende. Es ist nur eine Frage der Zeit. Wie lange wird es dauern, bis Jamie sich wundert, warum Jacqueline noch nicht aufgetaucht ist, und bei ihr anruft? Wahrscheinlich bin ich schon zum Mittagessen wieder zu Hause, mit meiner Kündigung in der Tasche.
»Ich bin gefeuert, Mum.«
»Das ist schön, Liebes. Könntest du bitte Teewasser aufsetzen?«
Ich brauche jetzt unbedingt einen beschaulichen Start in den Tag, um in Ruhe meine Gedanken zu ordnen, mein Gehirn einzuschalten und eine Lösung für mein Problem zu finden. Ich überprüfe kurz mein Aussehen in der gläsernen Außenfassade und gehe die Eingangstreppe hoch. Die automatische Tür schwingt auf, und mich erwartet ...
Chaos. Als wäre die Hölle ausgebrochen. Es ist erst Viertel nach sieben. Wir haben noch nicht einmal geöffnet. Was zum Teufel ist hier los?
Ich mustere die Menschenansammlung im Foyer. Alles Tänzer, wie der erste Blick vermuten lässt: Halstücher, knallenge, ärmellose T-Shirts, übergroße Hosen auf unglaublich schmalen Hüften. Sollte sich nicht über Nacht der Dresscode weltweit geändert haben, kann es sich unmöglich um eine Razzia des Finanzamts handeln. Aber warum drängen sich über fünfzig Tänzer morgens um Viertel nach sieben in unserem Foyer?
Ich bahne mir einen Weg zur Empfangstheke, wo ich Rebecca vorfinde. Erstaunlicherweise sind ihre Augen trocken. Gott allein weiß, wie sie in diesem Tumult die Nerven bewahrt hat. Am besten, ich behandle sie mit Samthandschuhen. Ich atme tief durch, setze ein freundliches Lächeln auf und sage: »Was wollen die ganzen Leute hier, Becks?«
»Anscheinend sind sie einbestellt worden«, antwortet sie leise.
»Was, etwa zu einem Casting?«
Mir ist nichts von irgendwelchen für heute Vormittag gebuchten Castings bekannt.
»Ach so, vielleicht habe ich das nicht richtig verstanden«, entgegnet Rebecca. »Was ist ein Casting?«
»Das ist ...«
Es hat keinen Zweck. Rebecca ist ein hoffnungsloser Fall. Aber ich muss mir die Schuld dafür geben. Schließlich bin ich für ihre Einarbeitung verantwortlich, nicht?
Tief durchatmen. Ruhig bleiben. Gemeinsam kriegen wir das schon hin.
»Okay, Becks, du gehst jetzt in Lydias - in mein Büro und rufst Daniel an. Vielleicht weiß er, was hier vor sich geht.«
Rebecca setzt sich in Bewegung, hält dann kurz inne und sagt: »Oh, das hätte ich fast vergessen. Irgendeine Julie von irgendeiner Agentur wartet in der Bar auf dich.«
Wovon redet sie?
Augenblick, jetzt fügt sich alles zusammen.
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