Extra scha(r)f
Kinn nach vorn. Nach einer Weile entwickelte Sasha eine richtige Casting-Phobie. Dann lernten wir uns kennen. Sie lungerte damals vor Studio 2 herum, weil sie sich nicht in das Casting für irgendeinen Werbespot traute.
Wir kamen ins Gespräch, und mir wurde schnell klar, dass Sasha nicht in der besten Verfassung war. Die Arme hätte in diesem Zustand nicht einmal auf einem Kreuzfahrtschiff anheuern können, um mit einer Federboa auf dem Kopf vor Bingo spielenden Rentnern zu tanzen, die einen Samba nicht von einer Polka unterscheiden können - mit anderen Worten, das unterste Niveau für jeden Berufstänzer.
Ich wollte ihr damals helfen, ohne zu wissen, wie ich das anstellen sollte. Jenna arbeitete zu jener Zeit schon bei uns, und wir hatten ausreichend Tanzlehrer für Hip-Hop, Locking und Popping. (Fragen Sie mich bitte nicht. Das sind alles Szeneausdrücke für irgendwelche unmöglichen Tanzstile, erfunden für Leute, die ihren Körper extrem verrenken können.) Sasha stand kurz davor, alles hinzuschmeißen, aber ich fand, sie gab zu schnell auf. Und da kam mir die Idee mit dem Aerobic-Kurs.
Eine Tänzerin zu fragen, ob sie einen Aerobic-Kurs leiten möchte, ist ungefähr so, als bitte man einen Griechen, die türkische Nationalhymne zu singen. Eigentlich ist Letzteres sogar einfacher. Tänzer und Aerobic-Trainer stehen miteinander auf Kriegsfuß. Zwar sind sie nicht so schlimm miteinander verfeindet wie die Rapper von der amerikanischen Ostküste mit den Rappern von der amerikanischen Westküste, aber würde man Tänzern und Aerobic-Trainern Pumpguns in die Hände drücken, hätte man sicherlich rasch ein Biggie/Tupac-Szenario.
AEROBIC-TRAINER IM BANDENKRIEG GETÖTET - POLIZEI VERDÄCHTIGT TÄNZER-CLIQUE.
Sashas lebhaftes Temperament (außerhalb eines Castings) und ihr Talent bestärkten mich in dem Glauben, es mit ihr zu versuchen. Wir hatten damals eine Lücke in unserem Programm, und nachdem ich Sasha überzeugt hatte, dass es das Richtige für sie sei, überredete ich Lydia, es mit Sasha zu probieren. Leider war das Timing denkbar schlecht. Von dem Moment an, als Sasha den Kurs begann, geriet Aerobic aus der Mode.
Es wurde völlig von Spinning verdrängt.
Spinning . Ich frage Sie, was soll daran so toll sein? Lauter Idioten, die zu Technomusik und Diskobeleuchtung auf dem Spinningbike im Takt strampeln. Eigentlich sollte ich nicht so schlecht darüber reden, zumal wir damit ein Vermögen verdienen, aber ich meine, wenn man Lust hat, aufs Rad zu steigen, kann man doch auch an der frischen Luft eine Runde drehen, oder?
Spinning ist eine Modeerscheinung, die naturgemäß irgendwann wieder verschwinden wird. Dafür wird Aerobic wieder in Mode kommen ... Oder?
»Sasha, das ist keine Zeitverschwendung. Du musst ein wenig mehr Geduld haben«, sage ich. »Versuche positiv zu denken.«
»Mir reicht es«, erwidert sie. »Alles Scheiße. Mein ganzes Leben ist deprimierend.«
»So schlimm ist es nun auch wieder nicht«, sage ich in aufmunterndem Ton. »Was ist denn mit deinem neuen Freund? Der, von dem du mir erzählt -«
»Erwähne ihn nie wieder in meiner Gegenwart!«
»Kleinen Augenblick, Sash. Bin gleich wieder da.«
Jenna hat gerade das Foyer betreten. Was macht die denn schon so früh hier?
»Morgen, Charlie«, flötet sie. »Wo hast du sie einquartiert?«
»Wen?«, erwidere ich begriffsstutzig.
»Meine Tänzer, Dummerchen.«
Ihre Tänzer. Dann leitet Jenna also das Casting für Blaize. Hätte ich mir denken können. »Studio 4«, antworte ich.
»Studio 4? Ist die Klimaanlage denn inzwischen repariert worden? Das ist ja hervorragend!«, sagt sie.
Ich sehe Jenna nach, wie sie zum Fahrstuhl tanzt, und bete dabei inständig, dass Rebecca ein paar Ventilatoren auftreiben konnte, um für frischen Wind da oben zu sorgen. Anderenfalls habe ich mein Leben verwirkt.
»Sorry, Sash«, sage ich, als ich den Hörer wieder ans Ohr lege. »Hör mal, gib dir für heute einen Ruck. Du gibst deinen Kurs, und danach können wir uns ausgiebig unterhalten.«
»Nein, ich werde nicht kommen, basta. Ich melde mich wieder.« Und sie legt auf.
Während ich den Hörer weglege, fasse ich einen Entschluss. Sasha tritt schon viel zu lange auf der Stelle. Sie vergeudet ihr Talent mit einem Aerobic-Kurs, bei dem sie nicht mit dem Herzen dabei ist (außerdem weiß ich nicht, wie lange ich noch ihre Fehlzeiten vor Jamie verheimlichen kann). Was den Job in der Boutique angeht, nun, dazu muss ich wohl nichts sagen, oder? Ich
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