Extra scha(r)f
Erdrutschartig.
Ich erinnere mich, dass irgendeine Julie von irgendeiner Agentur vor ein paar Tagen hier anrief und mir mit einer grauenhaft näselnden Stimme mitteilte, dass sie Blaize betreut. Blaize ist ein Popstar. Popstars brauchen Tänzer. Wenn ich zwei und zwei zusammenzähle, ergibt das ein Tanzcasting. Aber Castings finden nicht ohne weiteres statt wie in einem Cliff-Richard-Film - »Lass uns das Casting jetzt sofort machen, an Ort und Stelle!« Nein, ein Casting muss organisiert werden, wofür Telefonate erforderlich sind und ein Studio gebucht werden muss. Warum zum Henker bin ich also nicht darüber informiert? Schließlich bin ich die verdammte Studiomanagerin und verantwortlich für die verdammten Studios. Lydia wäre so etwas ganz sicher nicht passiert.
Oh Mann, ich stelle mich in diesem Job dümmer an, als ich selbst befürchtet habe.
Während Rebeccas Abwesenheit fasse ich den Entschluss, dem Rätsel auf den Grund zu gehen. Ich setze mich an den Computer, versuche den Lärm um mich herum zu ignorieren und checke die Reservierungen.
Da steht es. Der Saal im siebten Stock ist von halb acht bis siebzehn Uhr vom Mission Management gebucht. Was kein Problem wäre, wäre der Saal im siebten Stock nicht das Heiligtum unseres hoch geschätzten Philip mit seinem Klavier. Er gibt heute wie üblich fünf Ballettkurse in diesem Saal. Und um fünfzehn Uhr ist der Raum für Stepptanz gebucht. Scheiße, jetzt habe ich ein Riesenproblem am Hals. Ich checke den Plan, um zu sehen, ob ein anderer Raum frei ist. Fehlanzeige. Sämtliche Studios sind heute durchgehend belegt.
Was soll ich tun, was?
Hyperventilieren? Keine gute Idee. Kichern? Könnte sich als nützlich erweisen. Oder lieber doch nicht.
Ich hab‘s. Studio 4 ist frei (was mit dem Umstand zu tun haben könnte, dass wir immer noch auf den Monteur warten, der die Klimaanlage reparieren soll).
Problem gelöst.
Ich gebe ihnen Studio 4, und damit niemand an einem Hitzschlag stirbt, stellen wir einfach ein paar Ventilatoren auf. Sollte das nicht reichen, kann Rebecca immer noch mit einem Stück Pappe den Tänzern Luft zufächeln.
Oh Mann, ich bin eine geniale Studiomanagerin.
Du kannst dir ein Beispiel an mir nehmen, Lydia.
Lächelnd bahne ich mir erneut einen Weg durch die Menge, um Julie Soundso zu finden, aber diese kommt mir zuvor. Ich höre sie, bevor ich sie sehe. Ihre näselnde Stimme zerschneidet das Geschnatter der fünfzig Tänzer. Gleich darauf erblicke ich sie. Eine leicht untersetzte Person in Prada und mit einer Brille wie die von Anastacia, die bei ihr allerdings in keiner Weise so wirkt wie bei Anastacia. Ich setze mein strahlendstes Lächeln auf und strecke ihr die Hand entgegen. »Hi, Sie sind bestimmt Julie.«
»Und Sie sind?«
»Charlie, die neue Studiomanagerin«, antworte ich, wobei ich »neue« extra betone, damit sie mich nicht mit der unverschämten, abweisenden Person verwechselt, von der sie einige Tage zuvor am Telefon abgewürgt wurde (sowie in der Hoffnung, dass sie nicht meine Stimme wieder erkennt als die der anderen unverschämten, abweisenden Person, von der sie wenige Minuten davor ebenfalls am Telefon abgewürgt worden war). »Ich habe Studio 4 für Sie reserviert«, sage ich lächelnd. »Es ist im dritten Stock.«
»Im dritten Stock?«, erwidert sie. »Der junge Mann, der die Reservierung entgegengenommen hat, hat mir einen Saal im siebten Stock zugesagt, wo wir ganz ungestört sind.«
Welcher junge Mann? Das kann nur Daniel gewesen sein. Ich bringe ihn um.
Aber erst später. Zuerst muss ich das hier regeln.
»Oh, aber der Saal im siebten Stock ist von allen Seiten einsehbar.« (Das ist wahr. Zumindest von den Tauben auf dem Glasdach - Tauben, die größte Gefahr für Popstars, bevor Paparazzi erfunden wurden.) »Sie werden sehen, in Studio 4 sind Sie völlig ungestört.« (Zumindest nachdem ich Rebecca hochgeschickt habe, um die Jalousien zuzuziehen.) »Madonna war mit dem Saal sehr zufrieden, als sie darin probte.« (Falsches Tempus, aber das mag man mir nachsehen. Richtig muss der Satz lauten: Madonna wäre sehr zufrieden mit dem Saal gewesen, hätte sie jemals darin geprobt.)
»Wenn Sie meinen«, lenkt Julie grummelnd ein und klatscht anschließend laut in die Hände. »Ladys und Gentlemen, Studio 4, dritter Stock. L et the show begin.«
Dann macht sie auf dem Absatz kehrt und marschiert in Richtung Treppenaufgang. Die Tänzer folgen ihr in einer langen Schlange, und Julie erinnert so an den
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