Extraleben - Trilogie
Eleven längst die Organisation verlassen, und beim Übergang auf die nächste Generation gingen - sagen wir mal-einige Informationen verloren. Als wir von Ihrem Interesse an unserem Unternehmen .hörten, waren wir zunächst selbst überrascht, schließlich hatten wir unser Office in Iowa schon vor Jahren geschlossen. Ich ging der Sache nach und fand heraus, dass die Datacorp Anfang der Achtzigerjahre eine ziemlich ungewöhnliche Rekrutierungsstrategie verfolgte: Um an die jungen Talente der Hacker-oder Cracker-Szene heranzukommen, wurden verborgene Nachrichten in den damals populären Videospielen und Bulletin Board Systems gestreut. Das Ganze war eine Art - wie sagt man auf Deutsch - Paperchase?«
»Schnitzeljagd?«
»Genau«, nickt John zufrieden, »es wurde eine digitale Spur gelegt, die zu Walter Day von Twin Galaxies führte; er war so nett, mit uns damals zusammenzuarbeiten. Doch auf Dauer stellte es sich als zu aufwändig heraus, die Spielehersteller zur Geheimhaltung zu verpflichten - zumal als Privatfirma -, und die Datacorp stoppte das Projekt. Damit, dass zwanzig Jahre später jemand die Botschaften entdecken würde, hatte wohl niemand gerechnet.«
»Das Tape mit Moonlander ?«
Stolz wie ein Kind, das seine Sandburg vorzeigen darf, dreht sich John zu mir um und grinst: »Sagen wir mal so: Seit wir vor sechs Monaten Ihre Suche nach Mister Days Adresse registriert haben, waren Sie nie mehr allein.«
Natürlich, sonst würde er nicht meinen geheimen Log-in-Namen kennen. Selbstbewusst lässt der Mann ohne Nachnamen seine Geheimdienstmuskeln spielen: »Ab Kansas City folgten Sie dann jede Sekunde einem genau vorgegebenen Weg; das Tape war nur ein kleines Stück im Puzzle, genau wie Ihr kleines Autoproblem in Iowa.«
Vor und hinter »Autoproblem« malt er mit dem Zeige-und Mittelfinger auf diese amerikanische Art zwei Anführungszeichen in die Luft. „Wir haben das Projekt einfach aufleben lassen. Das passte auch ganz gut, weil wir derzeit wieder Talente suchen und Sie anscheinend über ein erstaunliches Wissen um Vintage Systems verfügen.«
Ich bin verlegen.
»Nun ja, ich bin nicht der Experte ...«
Für solche deutschen Bescheidenheiten scheint John keine Zeit zu haben. Ruppig fährt er mir auf Englisch ins Wort.
»Well, you are here, aren't you?«
Aber schon in diesem Moment merkt er, dass er sich im Ton vergriffen hat, und schiebt ein versöhnendes »Sorry« hinterher. Schließlich stehen wir vor einer weiteren Stahltür. die sich von all den anderen nicht wirklich unterscheidet. Auch sie trägt nur eine Nummer: 760.7339969 »Wir sind da«, sagt John stolz und drückt die Klinke herunter. Über drei kleine Eisentreppen betreten wir den Raum. Endlich warm, endlich wieder in der Gegenwart angekommen. Nach der ganzen beklemmenden Bunker-Architektur ist es eine Erlösung, sich an einem Platz aufzuhalten zu dürfen, der genauso gut ein Konferenzraum in der Redaktion sein könnte. Wir stehen in einer flachen Halle, die aussieht wie das Space-Hilton aus »2001«: weiße Bodenplatten. weiß verkleidete Säulen, sogar die Decke wirkt frisch gestrichen. Fehlt nur noch ein kleiner Teller mit Bahlsen Selection Konferenzkeksen. Nach den Lichtschaltern zu urteilen, ist dieser Raum erst vor wenigen Jahren gebaut worden - anscheinend ein Colocation Center, wie es die großen Firmen nutzen, um ihre Server unterzustellen. Nick und ich haben vor Jahren mal eins besucht. Wir stehen in der Zelle , dem Herz des Rechenzentrums, ein feuer - und bombensicherer Käfig aus Stahlelementen, die nur zusammengeschoben und nicht verschraubt sind, sozusagen ein Raum im Raum. Nur dass hier nicht die üblichen grauen Serverschränke stehen, sondern Tische, und zwar mindestens zwanzig Reihen hintereinander. Unfassbar. Ich mache ein paar Schritte nach vorne, während sich John grinsend und mit verschränkten Armen an den Rahmen der Eingangstür lehnt. Was für ein Anblick: Der flache Raum ist auf der ganzen Länge mit alten Rechnern vollgestellt, jeder von ihnen schön ordentlich auf seinem Tisch aufgebaut; teilweise steht sogar ein weißer Tulip-Chair davor, als ob gleich die Datentypistin aus ihrer Mittagspause zurückkommt. Ich stolpere auf die ersten Reihen zu: Die rechte Hälfte des Raumes scheint für Großrechner reserviert zu sein, links stehen die Mikrocomputer. Wie ein Zombie der Interzone scanne ich die Tische nach bekannten Farben ab, zu mehr bin ich jetzt nicht fähig. Meine Augen streifen die blaue Frontplatte des
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