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Extraleben - Trilogie

Extraleben - Trilogie

Titel: Extraleben - Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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nicht nur zum Absturz bringen, sondern den Rechner richtiggehend zerstören. Irgendein Chip würde dann durchbrutzeln, munkelte man in der Geek-Ecke des Pausenhofs, die direkt neben dem gefürchteten Eingang zum Büro des Direx lag. Gefürchtet war er natürlich nur von den anderen Schülern, denn wir, die Harmlosen, wurden noch nie wegen einer eingeschlagenen Scheibe oder Nase dort hinzitiert. Dafür waren wir viel zu sehr mit Theorien beschäftigt, wie der vom Todes-Poke. Eine sehr gewagte Theorie, selbst für Dreizehnjährige. Klar, dass man sie trotzdem testen musste. Klar auch, dass dafür der eigene Rechner, ein Hightech-Produkt im Wert von immerhin 500 Mark, nicht infrage kam. Also war mal wieder ein Besuch bei Herrn Betz fällig. Herr Betz war Verkäufer bei Hertie, ein leicht untersetzter Mann mit schütterem Haar in den Dreißigern. Er hatte sowohl meinen als auch Nicks Eltern den C64 aufgeschwatzt, und er war es auch, der uns mit dem passenden Einsteigersortiment an Spielen versorgt hatte. Alles Raubkopien natürlich. Heute unvorstellbar: Jedem Kunden, der ein Gerät samt Datasette kaufte, legte er einen Stapel selbst aufgenommener Agfa-Kassetten mit schwarz kopierter Software bei.
    »Immer erst die chier mit Turbo-Tape laden. Dann statt LOAD nur <-L eingähben. Geht schneller.«
    So unschuldig erklärte er den Eltern, wie man das Urheberrecht bricht. In seinem breiten Akzent klangt jedes »h« wie das »ch« in »Rachen«, und genau da kam der Sound auch her. Herr Betz sei wohl »von drüben«, vermutete mein Vater, wobei mir nicht ganz klar war, was er mit »drüben« eigentlich meinte. Irgendwo hinter dem Eisernen Vorhang halt. Jedenfalls hatte Betz im Westen schnell gelernt, was Kapitalismus bedeutet und wie man Käufer dazu bringt, wiederzukommen. Er wusste: Seine kleinen Kunden, die er mit Beachhead, Blue Max und Boulder Dash angefixt hatte, würden ihm lange die Treue halten. Und seine Rechnung ging auf. Fast zwei Jahre lang kamen wir immer wieder in Betz' Reich zurück, eine kleine, nach Teenieschweiß miefende Ecke in der dritten Etage der Hertie-Filiale am Markt. Schräg links hinter den Stereoanlagen lag das Paradies. Da schauten wir dann vorbei, um den anderen Geeks beim Zocken zuzuschauen - schweigend natürlich, denn für uns Dorfdeppen war es undenkbar, mit den Jungs aus der Stadt einfach so zu reden. Wir mochten Betz. Und deshalb fühlten wir uns besonders mies, als wir an diesem Nachmittag die Rolltreppe in den dritten Stock nahmen - schließlich wollten wir ja einen seiner geliebten Rechner kaputt machen. Einfach so. Beißt man in die Hand, die einen füttert? Doch der Aufriss, um in die Stadt zu kommen, war zu groß gewesen, um jetzt noch einen Rückzieher zu machen. Eine Dreiviertelstunde im heißen Bus von unserer Trabantenhölle in die City zuckeln, zwei Mark fürs Ticket zahlen - die Schülerkarte galt so weit weg von zuhause nicht mehr. Die Pomadewolke des Fahrers mit Porschebrille ertragen - und sein »Flippers«-Tape. Außerdem den anderen Jungs absagen, die an diesem Nachmittag versuchen wollten, in »Rambo II« reinzukommen. Für solche Zerstreuungen hatten wir keine Zeit. Wir waren schließlich Wissenschaftler - Wissenschaftler mit einer Mission, die ein wichtiges Experiment durchführen mussten. Wissenschaftler, die ohnehin niemals ins Kino reingelassen worden wären, da der Film ab achtzehn war. So langsam wie möglich, ohne dass man vor dem anderen als Feigling dasteht, pirschten wir uns also an die Computer-Ecke ran.
    »Challo Jungs!«, begrüßte uns Betz, der gottseidank gerade damit beschäftigt war, einer aus unserer damaligen Sicht steinalten Mutter - wahrscheinlich war sie jünger als wir heute - den Brotkasten schmackhaft zu machen.
    »Ja, hallo«, hauchten wir im Chor. Nachdem sich Betz umgedreht hatte, schlichen wir zum erstbesten C64. Nick schaltete die Kiste an, wartete, bis das hellblaue READY erschien - und legte los. Blitzschnell hackte er den Befehl rein. POKE 59458,62 - am Speicherplatz 59458 den Wert 62 hinterlegen. Oder so ähnlich. Wie die Zahlenfolge genau ging, könnte Nick noch heute mit 100-prozentiger Sicherheit sagen, aber ihn jetzt zu fragen wäre ein Zeichen der Schwäche - und außerdem der Beginn einer halbstündigen Belehrung aus seinem unerschöpflichen Wissensreservoir. Mit einem lauten Klack drückte Nick die RETURN-Taste runter. Der Moment der Wahrheit war gekommen. Hatten wir die Kiste echt gekillt? Zumindest gelähmt: Der Cursor fror

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