Extraleben - Trilogie
stimme »das Chi«, meint Nick.
»Total unnatürlich« dagegen findet er es, beim Reinkommen nach links abbiegen zu müssen, weil rechts die Wand und die Fernseh-Anrichte stehen. Er ist wohl in letzter Zeit ein bisschen viel unterwegs gewesen. Wir schmeißen gleich hinter der Schwelle unseren Kram in die Ecke und checken die Aussicht. Ein Hattrick der Seelenlosigkeit: Wir schauen auf den Parkplatz eines a) Spielzeug-Discounters, b) Polstermöbelzentrums und c) Baumarkts. Ich ziehe die aprikosenfarbenen Vorhänge zu und lege mich auf das Bett neben dem Fenster. Nick stellt vorsichtig Johns Rechner auf dem Fernsehmobiliar ab, dann haut er sich auf seine Pritsche - das ist die direkt an der Wand. Ein weiterer Punkt, über den wir nicht mehr reden müssen: Er behauptet, einen steifen Hals zu bekommen, wenn er in der Nähe eines Fensters schläft. Also entscheidet er sich immer für das Bett direkt neben dem Eingang zum Badezimmer - mit maximalem Abstand zum Fenster. Dass die Zimmer hier, hundert Meter neben dem Autobahndreieck, so gut isoliert sind, dass nicht mal Anthrax-Erreger durchs Fenster kämen, spielt keine Rolle. Regel ist Regel. Oder vielleicht will er auch nur nachts schneller auf der Toilette sein; spielt ja mittlerweile auch eine Rolle. Langsam lässt die Aufregung nach. 00:34 steht in grünen Leuchtziffern auf dem Radiowecker. Verdammt spät, Zeit für den Endspurt. Ich drehe mich auf dem Bett so lange rum, bis ich einen Blick in die Mini-Bar unter dem Fernseher werfen kann, ohne aufstehen zu müssen. Zwei Beck's, zwei Bit, diverse Kurze. Ich hole ein Beck's raus und halte es zu Nick rüber.
»Noch'n Absacker?«
Die Frage ist eigentlich rhetorisch, da Nick niemals etwas aus der Mini-Bar trinkt, wenn wir dienstlich unterwegs sind. Absacker lassen sich nämlich nicht als Reisekosten verbuchen. Umso überraschender kommt sein »Ock«, was so viel bedeutet wie »Okay, aber nimm mir um Gottes Willen die Entscheidung ab, was wir trinken«.
Also fische ich ein zweites Beck's aus dem Kühlschrank und reiche es ihm aufgemacht rüber. Wortlos nimmt er den ersten Schluck. Angestoßen wird hier wohl auch nicht mehr. Nick sieht geschafft aus; den furchtlosen Josef Matula in unserem Fall für Zwei zu mimen strengt ihn wohl doch mehr an, als er zugibt. Jetzt würde er gerne sein Handy rausholen und mit Sabina telefonieren, einen dieser Anrufe starten, die mit einem »Ich dich auch« enden und bei denen es mir immer peinlich ist, wenn ich sie mithören muss. Aber dann wüssten sie, wo wir stecken und wären in zehn Minuten hier, sofern es sie überhaupt gibt. Davon ist Nick mehr als jeder andere im Zimmer mit der Nummer 421 überzeugt, und deshalb schluckt er seine Gefühle runter. Er glaubt mit Sicherheit, dass sie unsere Handys abhören. Klar gäbe es Alternativen, doch seinen Dienstrechner rauszukramen und dann übers abgeschottete Datacorp Secure Network, kurz DCSNet genannt, bei Sabina anzurufen, ist ihm anscheinend zu blöd. Vielleicht steigt seine Stimmung, wenn er einen kleinen Vortrag halten darf? Ich hieve vorsichtig den Rechner aufs Bett rüber. Das Gehäuse fühlt sich warm an, wärmer als bei den Aluflundern, mit denen wir sonst rumlaufen. Das Gerät ist nicht nur so groß wie ein Stapel Langspielplatten, sondern mindestens auch so schwer, fünf Kilo oder sogar mehr. Massige Hightech, kein billiger Plastikscheiß wie meine Tandys. Obwohl klar ist, dass das Teil mindestens zwanzig Jahre alt ist, wirkt das Design nicht antiquiert, sondern immer noch futuristisch und kantig wie ein Stealthbomber. Einziger Hinweis auf den Hersteller ist ein kleines Logo, das ins Gehäuse eingeprägt wurde und nach dem Schriftzug der »Next Generation-von Star Trek ausschaut: GRiD-mit kleinem »i«.
An der Seite des Rechners sind zwei Schiebeschalter dran, mit denen sich wohl der Klappmechanismus des Bildschirms entriegeln lässt. Was passiert, wenn ich den jetzt hochschiebe? Geht das Teil dann von selbst an - wie die alten Kaypro-2000-Laptops aus den Achtzigern - und der Rechner initialisiert die Abschusssequenz, startet den Bomben-Countdown oder sonst was? Ich versuche, aus Nick noch was rauszukitzeln.
»Jetzt sag mal-was ist das für 'nen Teil?«
Stöhnen von rechts.
»Aber nur kurz, ich bin echt alle«, murmelt er. Komm schon, komm schon. Du willst es doch auch! Langsam rollt sich Nick ein bisschen auf die Seite. Na, noch ein Stück, und noch ein bisschen. Und zack - angebissen. In gespielter Zeitlupe greift er den
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