Extraleben - Trilogie
vielleicht doch etwas hoch gegriffen. Eigentlich war es nur ein weißes Holzkreuz, das in einem Beet direkt vor der Mauer steckte und auf das jemand mit Edding gekrakelt hatte: R.I.P. ATARI GAMES – 1972 - 2003 Exakt zwei Blumen waren davor eingepflanzt; Nick meinte, es seien »Osterglocken«.
Und das war's. Der Beifahrer schoss trotzdem ungefähr 87 Fotos von dem Grab und faselte auf dem Rückweg noch stundenlang davon, wie »ergriffen« er gewesen sei. So richtig durchgezogen haben wir unsere Forschungsmissionen nie, und schon gar nichts ernsthaft erforscht, außer dem Angebot an Warnschildern auf dem US-amerikanischen Markt vielleicht. Darum ging es aber auch nie; wir brauchten nur einen Vorwand, um nebeneinander herstarren zu können, während wir Meile um Meile auf endlosen Blue Highways runterrissen - auf kleinen, schlecht asphaltierten Nebenstraßen, die das Nichts mit dem Nirgendwo verbinden und auf der Straßenkarte blau eingezeichnet sind. Nachdem wir die lästige Ablenkung namens Studium aus unserem Leben entfernt hatten, wurden diese Trips immer wichtiger, vielleicht etwas zu wichtig. Wir fraßen nur noch Miracoli, gingen nicht mehr aus, kauften uns nichts mehr und lebten zwischen Sperrmüll-Möbeln - nur um die Forschungsreisen im Sommer weiter bezahlen zu können. Das war auch einer der Gründe, warum sich Sabina seinerzeit abgeseilt hatte. Es war wie mit allen Dingen, die das gefürchtete T-Label bekommen, mit» T «wie» Tradition«.
Erst macht das Ritual die Dinge einfacher, man freut sich, nicht drüber nachdenken zu müssen, was im Sommerurlaub ansteht. Dann kommen erste Zweifel: Ist diese Voreinstellung wirklich so gut? Vielleicht gibt es ja noch andere interessante Reiseziele? Und schließlich hat einen die Tradition fest im Griff, wird zum lästigen Programmpunkt, wie Haare schneiden lassen oder Auto zum TÜV bringen. Seltsam, wieder zusammen in einem Boat zu sitzen. Fast wie früher. Doch es kann kein Kumpeltrip mehr wie früher werden. Alles ist anders, wir sind anders. Wenn wir heute zusammen in einem Auto sitzen, dann sind wir nur gemeinsam auf einer Dienstreise. Und Nick wird jede Quittung entlang des Weges fein säuberlich falten und ins Handschuhfach legen, für die Reisekostenabrechnung am Ende des Quartals.
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»Selbstverständlich können Sie eine Quittung bekommen, sagen Sie morgen früh einfach meiner Kollegin Bescheid «, trällert die junge Rezeptionistin in unsere müden Gesichter. Sie ist ungefähr fünfzehn Jahre jünger als wir. Mit ihrem blauen Blazer und der fleischfarbenen Strumpfhose sieht sie aus, als hätte sie gerade vom Direx ihr Abiturzeugnis in die Hand gedrückt bekommen.
»Vielen Dank«, sage ich und schnappe mir die Codekarte fürs Zimmer, bevor der Steuersparfuchs neben mir noch mehr peinliche Fragen stellen kann. Die Lage ist schon unangenehm genug. Die Kleine hält uns garantiert für Stricher oder so was: Welche zwei Jungs checken an einem Freitagabend fast ohne Gepäck in so einem Business-Bunker ein? Wir sammeln unseren Kram vom Boden auf und gehen rüber zum Aufzug. Eben sind drei Typen mit grauen Dreiteilern und roten Krawatten reingetorkelt. wahrscheinlich die Nachspielzeit eines sehr dynamischen Verkaufstrainings; seitdem gähnt die Lobby leer vor sich hin, und jeder Tastendruck der Rezeptionistin hallt unangenehm nach. Sogar die Fahrstuhlmusik ist um die Zeit abgestellt. Der Staub in der Luft hat ab jetzt ungefähr noch fünf Stunden Zeit, um sich auf den vertrockneten Blumengestecken niederzulassen, mit denen die pseudogemütlichen Sitzgruppen dekoriert sind; dann kommt die Putzkolonne und wird alles, von der Gipskartondecke bis zum hellgrauen Marmorboden mit den schwarzen Einlegearbeiten, wieder auf Hochglanz polieren. Noch fünf Stunden Ruhe im Hotel zur guten Verkehrsanbindung. Meine Chucks und Nicks Vans quietschen auf dem hellbraunen Fußboden bei jedem Schritt, wie damals beim Basketball in der Schulsporthalle. Ich versuche, von den Zehen zum Fußballen leise abzurollen, damit das Rezeptions-Schneckchen nicht auf unser Schuhwerk aufmerksam wird und uns noch mehr für Stricher hält.
»Glück gehabt - Rechtsabbieger«, murmelt Nick, als wir ins Zimmer reinkommen. Er hat irgendwann mal die Theorie aufgestellt, dass es auf der Welt nur zwei Arten von Hotelzimmern gibt - solche, bei denen die TV-Bank links neben der Tür steht, und man nach rechts abbiegen muss um zu den Betten zu kommen; die nennt er »Rechtsabbieger«.
In solchen Räumen
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