Extraleben - Trilogie
gleichzeitig ertönt ihr Angriffsgeschrei »Darf ich Ihnen ...«.
Unser Flugsteig liegt im alten Teil des Flughafens, und das bedeutet, wir müssen uns erst mal durch ein stahlverstärktes Aquarium kämpfen, das der Betreiber in den Neunzigern aus dem Boden gestampft hat - das Terminal D, mit »D« wie Discount. Was aber nicht schlecht sein muss, nein, nein. Denn es ist Vorsaison, und das bedeutet, der Flughafen ist fest in der Hand von Rentnern, Geschäftsleuten und - hier wird's interessant - Paaren mit kleinen Kindern. Jawohl: Es herrscht MILF-Alarm, und zwar allerhöchste Stufe, MILF-CON ONE, sozusagen. Im Augenwinkel tauchen die gesträhnten Horden auf: Junge Mütter, die ihre Urlaubskleidung schon vor Abflug angelegt haben. Sie klackern auf hohen Sandalen durch die Halle, sind mit reichlich Schmuck behängt und stecken in Klamotten mit Tigermuster. Das »D« im Terminal steht halt nicht für dezent. Ein stattliches Exemplar mit knallenger Jeans kreuzt unseren Kurs. An der Hand zieht sie ein kleines Mädchen hinter sich her: »Nein Lea, dafür haben wir jetzt keine Zeit mehr! «
Ihr Dekolletee quillt aus der weißen Leinentunika raus, und neben ihren Mundwinkeln ziehen sich so ganz kleine Falten runter, die dem an sich jungen Gesicht eine Spur von Härte geben. Warum ist das auf einmal interessant? Passt das Hirn den Geschmack vorauseilend an? Nick hat für so was natürlich keinen Blick. Unberührt marschiert er durch das Pailletten-Paradies weiter Richtung Terminal A, mit »A« für Atombunker. Von hier aus ist die Familie schon anno '77 nach Korsika abgeflogen, in den Sommerurlaub, FKK natürlich. Seitdem hat sich hier nicht viel getan. Der graue Waschbeton an der Decke wird jedes Jahr ein bisschen grauer, und aus den Belüftungsrohren, die wie Jet-Düsen aus der Wand ragen, dröhnt es ein bisschen lauter. Nur dieser schwarze Gummifußboden mit den Noppen drauf hält sich erstaunlich gut, trotz der Millionen von Kofferwägelchen, die mit einem nervtötenden »Rrrrrrrr« drübergerebelt sind.
»Ist das eine elektrische Schreibmaschine?«, fragt der Mann an der Sicherheitskontrolle, als Nick den Grid vorsichtig aufs Laufband legt. Überraschenderweise widersteht der Beifahrer der Versuchung, die Welt ein bisschen klüger zu machen, und drückt nur ein knappes »Ja, so in der Art« heraus. Dann schubsen uns die nachfolgenden Menschen ohne Gürtel in der Hose in den Wartebereich rein. Kurzer Scan: Glück gehabt, alle halten sich an die Zweier-Regel. Das ist eine der wenigen Sachen, die auf der ganzen Welt gelten: Jeder Reisende - Perverse mal ausgenommen -, der in einen Warteraum reinkommt, setzt sich so hin, dass mindestens zwei Sitze links und rechts neben seinem Platz frei bleiben. Man muss die Arme ausstrecken können, ohne Gefahr zu laufen, einen anderen Reisenden dabei zu berühren. Wie an der Rinne halt. Erst wenn wirklich alle Plätze mit Sicherheitsabstand weg sind, darf man die Zweier-Regel brechen. Dann wird's ziemlich ungemütlich. Ist hier auf dem Flug nach KUL, wie auf der Bordkarte steht, aber kein Problem. Kuala Lumpur scheint nicht gerade ein Touristenmagnet zu sein. Obwohl die Maschine in einer halben Stunde abheben soll, ist die Lounge noch gähnend leer, und wir können uns auf die Sitzbank direkt am Fenster fallen lassen - natürlich mit der gebotenen Pufferzone zwischen uns; die Zweier-Regel gilt selbstverständlich auch für Freunde und Blutsverwandte. Über der Startbahn bricht gerade die goldene Stunde an, wie es in Hollywood heißt - die Tageszeit, zu der alles schön aussieht und man selbst abgehalfterte Schauspieler ohne kiloweise Schminke auftreten lassen kann. Das Licht schafft es, selbst das hässliche Terminal A zu verzaubern: Die abgerundeten roten Plastikpaneele an der Außenwand wirken warm und freundlich, wie ein herzlicher Gruß aus der längst vergangenen Jetset-Ära. Unsere Mitreisenden lassen sich problemlos in kleine Schubladen packen, sodass man nicht weiter über sie nachdenken muss. Nichtnachdenken müssen - wieder eine der Sachen, die von Jahr für Jahr wichtiger werden. Jedenfalls spielen alle ihr Klischee routiniert: Das freundliche Paar um die Sechzig schweigt sich an; Halbbrillen hocken auf ihren Nasen und beide haben einen aufgeschlagenen Reiseführer im Schoß abgelegt. Ein paar Geschäftsleute, die aussehen, als würden sie aus Thailand oder von den Philippinen kommen, gestikulieren und lachen laut. Ein stämmiger Schnauzbartträger mit Bluthochdruck lutscht
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