Extraleben - Trilogie
haben.
»Um auf unsere Diskussion von vorhin zurückzukommen ...«
Achtung, Gedächtnis aktivieren, denn »vorhin« bedeutet bei ihm nämlich nicht unbedingt »vor einer halben Stunde« oder »vor einer Minute«, sondern es kann gut sein, dass er irgendetwas rauskramt, worüber wir vor Tagen oder sogar Wochen gesprochen haben.
»Vorhin« heißt nur, dass er auf dem Gedanken im Interrupt weiter rumgebrütet hat.
»... ob ich mir mein Leben so mit sechzehn vorgestellt hätte.«
Ach, die Sache. Die Frage ist an sich völlig akademisch, denn eigentlich hatten wir früher überhaupt keine Vision von unserer Zukunft - von der Sache mit dem Loft und den Models aus »Addicted to Love« mal abgesehen. Allein das Jahr Zweitausend erschien einem Teenager in den Achtzigern so unendlich weit weg. Unmöglich, sich das vorzustellen. Wir würden erfolgreich sein, irgendwie, ganz bestimmt, und wir würden 1999 Party machen, naja, als ob 1999 wäre, wie ein kleiner Mann, der damals noch Prince hieß, sang. Alles andere lag im Dunkeln. Ohne die Straße aus den Augen zu lassen, steige ich ins Thema ein.
»Alles jenseits von Zweitausend konnte ich mir einfach nicht vorstellen. Dreißig werden, vielleicht heiraten, Kinder kriegen - das war Eltern-Zeugs, darüber wurde nicht mal nachgedacht«
Nick lacht etwas verkrampft.
»Allerdings.«
Er hat gut lachen. Er hat das Erwachsenending gut im Griff, mit Sabina, seinem Haus und seinem Posten, der Rest ist doch nur noch Formsache. Wenn in ein paar Monaten der Herbst kommt und der Hausmeister vor dem Dorint seinen Laubbläser anwirft, werde ich ihn wieder ein bisschen beneiden, vielleicht sogar ein bisschen mehr als im letzten Jahr. Einen eigenen Laubbläser besitzen oder sogar einen Hochdruckreiniqer und damit dann mal so richtig saubermachen vor dem Haus - das wär's. Bei der Gelegenheit könnte ich gleich noch einen Bewegungsmelder für die Lampe neben der Hausnummer installieren. Aber warum hatte Nick das Thema überhaupt nochmal angeschnitten?
»Ja, und?«
Er guckt etwas verlegen weg.
»Na ja ...«
Jaja, wunderbar, tolle Rede, Mann, aber nicht jetzt! Ich klopfe ihm auf die Schulter.
»Sorry, aber da drüben kommt ein Taxi!«
Wir boxen uns durch die Menge zum Rand des Bürgersteigs durch. Von hinten kommt ein erbostes »Hey«.
Kein gutes Gefühl, zu den Kosmoproleten zu gehören, die rumrempeln und zuhause nur erzählen, wie viel sie auf dem Hin-und Rückflug getrunken haben. Beim Einsteigen mustert uns der Fahrer neugierig: zwei Europäer mit irgendwelchem Elektroschrott unterm Arm - diese Rucksacktouris werden auch immer seltsamer.
»To the Towers?«, fragt er mit einem breiten Lächeln. Wir müssen beide lachen.
»Why not?«, rufe ich an Nicks Schulter vorbei.
$002C
Okay, das Spiel heißt: über die Wupper gehen. Die Regeln sind einfach: Einer muss eine Sache erwähnen, die man früher supercool fand, also zum Beispiel einen Film oder eine Fernsehserie. Schauspieler gehen auch. Und der andere muss dann sagen, wann derjenige oder die Sache über die Wupper ging, also uncool wurde. Ein einfaches Spiel, wenn man a) leicht verbittert und b) leicht angetrunken ist. Zweimal ein klares positive: Wir sitzen vor dem höchsten Gebäude der Welt, das übrigens auch von Nahem aussieht, als wäre es von einem Konditorlehrling designt worden, und machen unser viertes Tiger-Bier auf. Das heißt, wir machen die Flasche tarnmäßig im Innern einer brauen Papiertüte auf. da wir bisher noch niemanden in Kuala Lumpur gesehen haben, der öffentlich Alkohol trinkt. Wahrscheinlich gibt's dafür dreißig Stockschläge auf den Rücken, so singapurmäßig. Also besser tarnen. Wir sitzen auf einer Treppenstufe direkt am Fuß der ach so tollen Türme und schauen - Punk! - in die andere Richtung, also vom Gebäude weg. Nach den Trophäen-Ehefrauen zu urteilen, die an uns vorbeihetzen, scheint drinnen ein Luxus-Einkaufszentrum untergebracht zu sein. Die kleinen Stückchen Frau, die nicht von riesigen italienischen Sonnenbrillen oder einem Schleier verdeckt werden, sehen nach der Arbeit guter Schönheitschirurgen aus. Reihenweise Beachvolleyballerinnen mit einem perfekten hellbraunen Teint tänzeln an uns vorbei, an zwei Pennern in nassgeschwitzten Shirts. Ein großer Teich, der die Form eines Firmenlogos hat, nimmt einen Großteil des Platzes ein. Da er so groß ist, kann man nicht erkennen, um welche Firma es sich handelt – OCP vielleicht. In seinem Wasser spiegeln sich die Fassaden der
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