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Extraleben - Trilogie

Extraleben - Trilogie

Titel: Extraleben - Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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im Winterschlaf gelegen, die Megatonnen, und darauf gewartet, dass mal kein Stanislaw Petrow am Terminal sitzt oder ein Bagger das Unterseekabel vom roten Telefon durchreißt. Genug Sprengkraft, um Moskau auszuradieren, Leningrad oder Nowosibirsk. Zum ersten Mal wirkt alles nicht mehr wie eine hochauflösende Version von Missile Command. In dieser Halle wäre unser Leben entschieden worden. Ob wir noch den nächsten Samstag erleben würden, um ein Hansa Pils zu shooten. Ob wir noch einmal mit den Eltern im Wald Ostereier suchen gehen könnten, obwohl wir schon lange zu groß dafür waren. Ob wir vor unserem Tod einmal diesen göttlichen fischigen Duft an unseren Fingern hätten riechen dürfen. Hier wäre die Entscheidung getroffen worden, einfach so. Sechstausend Kilometer von unserer lächerlichen Satellitenstadt weg, von zwei amerikanischen Dorfdeppen mit einem Schlüssel. Ich schaue zu Nick rüber. Sein Adamsapfel wandert langsam den ganzen Hals rauf und wieder runter. Wie alt alles schon aussieht - als ob es wirklich Gotik wäre. Dabei ist gerade mal ein halbes Jahrhundert vergangen, seit die Abrissteams abgezogen sind und die Gruft den Schimmelpilzen überlassen haben. Über die ganze Betonkuppel hat sich schwarze Schmiere ausgebreitet, als ob hier drinnen fünfzig Jahre lang was geräuchert wurde. Die Herren der Unterwelt sind anscheinend überstürzt abgereist, sonst hätten sie besser aufgeräumt. Alle paar Meter ragen rostige Stahlstangen aus dem Boden - wie gemacht für eine dieser Splatter-Szenen, auf die wir früher immer so standen. Achtloser Teenager bricht in Raketensilo ein, schlendert durch die Gegend, stolpert - und ab geht die Stange durchs Auge. Herrlich. Für die Kabel, die wie Lianen von der Decke bis fast auf den Boden hängen, gibt's auch kein TÜV-Zertifikat. Sind locker drei Stockwerke, von da oben bis hier runter. Nochmal so viele müssen unter unseren Füßen liegen, sonst hätte die Rakete nicht reingepasst. Wie es wohl im Keller erst aussieht ... Warum sind wir noch mal hier? Genau, die Rechner. lrvings Schmuckstücke stehen völlig verloren in der Mitte der Halle. In einem normalen Raum würden die Aggregate wahrscheinlich wie Riesen aussehen, vor dieser Kulisse schrumpfen sie zu Miniaturen zusammen, als ob man Modellautos in eine Landschaft mit einem viel größeren Maßstab gestellt hat. Ein einsamer Flutlichtstrahler stülpt eine Röhre aus Licht über die Computerschränke, das ist alles an Beleuchtung. Was außerhalb des Spots liegt, verschwindet im Zwielicht. Der Bildschirm glimmt zu uns rüber, wie üblich wartet ein Cur-sor auf unsere Eingabe. Er wird so lange geduldig blinken, bis die Tanks der Dieselgeneratoren leer sind und es wieder dunkel wird in diesem Scheiß-Grab. Der Beifahrer flüstert noch einmal »Wow«,dann knackt er mit den Fingergelenken. Zurück zur Arbeit. Was wollte Irving auf der LegaSys der Welt so Wichtiges mitteilen?

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    Jetzt muss alles schnell gehen. Warum? Es muss einfach, wir haben keine Wahl, das Silo will es so. Nick scheint sie auch zu spüren, diese Eile. Seltsam, obwohl wir theoretisch ewig Zeit haben, um lrvings Archiv auszulesen, beeilt er sich, als ob in zehn Minuten sein Flug geht und er noch am Anfang der Schuhauszieh-Schlange steht. Hektisch tänzelt er zwischen Terminal und den Festplatten-Stationen rum, streicht hier und da wahllos über einen Schalter, ruckelt an Kabeln. Er versucht, so schnell wie möglich Kontakt zum System aufzunehmen. Es muss an der Dunkelheit liegen. Sonst was könnte einen Meter neben uns lauern und wir würden es nicht bemerken. Die Sprengladungen an der Decke könnten längst angebracht und scharfgemacht worden sein. Selbstzerstörung um - Uhrenvergleich - vierzehnhundert. Ihre Blicke, verstärkt von Hochleistungs-Nachtsichtgeräten, könnten sich längst in unseren Rücken bohren. Kommt gleich von irgendwo her das hässliche »Hey!«, um unser unschuldiges Jungsabenteuer zu beenden? Um die Ecke von Nicks alter Bude im Studiviertel gab es einen Laden für gebrauchte Kühlschränke. Da stand im Schaufenster ein ganzer Park von - genau! - weißer Ware, so nennt man das doch. Vergilbte Emaille-Klötze mit Chromschaltern. an deren Ecken nach Tausenden von Schleudergängen schon das Plastik rausguckte. Genauso sieht lrvings Datenarchiv aus: wie ein Gebrauchtmarkt für weiße Ware - Bauknecht, Miele, IBM. Jetzt, wo wir direkt davor stehen, wirken die Geräte wirklich nicht mehr wie Spielzeug. Vor allem die alte

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