Extraleben - Trilogie
Fremdgehen gewesen. Wir entschieden uns stattdessen, anderen Leuten dabei zuzusehen, wie die sich von zwanzigjährigen Aerobic-Sandras dralle, sonnenbankgetoastete und eingeölte Hintern unter die Nase halten lassen. Wenn man sich selbst keine Tänzerin an den Tisch bestellt, ist man ja quasi nur zufälliger Augenzeuge, das geht emotional dann wieder in Ordnung. Wir spannen also völlig verklemmt aus den Augenwinkeln zu den Tischen rüber, an denen die Typen sitzen, die den Fuffi für einen Tanz am Tisch haben springen lassen, und freuen uns diebisch - vor allem, wenn diese Brünette performt, die sich aus der amerikanischen Polizistenuniform schält. Nach jeder Nummer verschwindet sie nackt in einem Hinterzimmer, um dann wieder nach einer Minute in der vollen Cop-Montur rauszukommen; ist fast wie beim Zocken, wenn man ein neues Leben kriegt. Während der Anziehpausen starren wir peinlich berührt auf den Boden, auch der Beifahrer, was in gewisser Weise beruhigend ist. Denn zuerst ist Nick ziemlich pseudo-selbstbewusst in den Laden reinmarschiert, dass ich schon wieder kurz dieses Gefühl bekam, der Zurückgebliebene zu sein - wie damals, als er nach ein paar Monaten mit Sabina süffisant fallen ließ, er habe »vom Eintopf gekostet« - wohl wissend, dass ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht mal in die Nähe einer Küche gekommen war. Aber so lief das damals: Mal lag der eine beim Erwachsenwerden vorne, mal der andere. Nachdem wir diese asiatisch aussehende Garderoben-Tussi mit ihren Doppel-D-Körbchen passiert hatten, verfiel Nick Gott sei Dank wieder in seinen natürlichen Zustand -äußerste Verklemmung. Alles andere wäre auch unnatürlich gewesen für einen Menschen, der sich zu Schulzeiten auf so ziemlich jede Diskette das Soundfile GESTOEHNE gezogen hat -fünf Sekunden aus irgend'nem Porno rausgesampelt. Das sorgte vor allem beim Laden immer für Lacher: SEARCHING FOR GESTOEHNE Wir stehen also wie festgewachsen neben der Bühne und versuchen, so wenig wie möglich aufzufallen. Ungefähr zwanzig Zentimeter von Nicks Kopf entfernt räkelt sich eine etwas zu dralle Wasserstoffblonde auf einer Harley. Sie trägt das klassische Fick-mich-Schuhwerk: Plateausandalen mit -und das ist wichtig! -Absätzen aus durchsichtigem Plastik. Darauf hat mich der Beifahrer schon beim Reinkommen mit einem anerkennenden Nicken hingewiesen. Auf keinem Gebiet haben wir derart viel theoretisches Wissen angehäuft wie bei Stripper-Schuhwerk. Da sind wir echt »cutting edge«, könnte Nick sagen. Nachdem wir ungefähr fünf Tänzerinnen, die bei uns vorbeikamen, durch simultanes Stottern klargemacht haben, dass wir nicht vorhaben, ihre neue Eichenvertäfelung daheim zu finanzieren, ignorieren sie uns. Das kommt natürlich super schnorrermäßig rüber, deshalb bestellen wir ein Bier nach dem anderen, damit der Laden wenigstens auf diesem Weg einen Schnitt macht. Obwohl es schon kurz vor zehn ist, tut sich noch nichts. Die Ladys in den Käfigen treten zu ohrenbetäubendem Eurodisco-Umpf müde von einem Bein aufs andere. Unserer Stimmung tut das aber keinen Abbruch: Von den ganzen Schlechtes-Gewissen-Bieren sind wir mittlerweile mächtig angegangen. Und der Nickmeister schafft es mal wieder, das perfekte Gesprächsthema für die erotisch aufgeladene Umgebung rauszukramen.
»Hey, wusstest du, dass Robocop in Wirklichkeit Jesus ist?«
Vor Lachen sprudeln mir ein paar Tropfen Bier aus der Nase. Die Dame auf der Harley schaut professionell weg und tut so, als bekäme sie nichts von meiner Hust-Attacke mit.
»Was?«, schreie ich zurück.
»Ja klar«, grölt Nick. Unten an seiner Nase klebt ein kleines bisschen Bierschaum, aber bei seinem Pegel merkt er so was natürlich nicht mehr. Als guter Kumpel zeige ich kurz auf meine Nase, bis er's peilt und sich den Schaum abwischt.
»Ja, also«, er lacht weiter, »denk mal drüber nach: Murphy ist ja erst 'n ganz normaler Bulle. Dann wird er von dieser Gang zu Unrecht getötet -und steht quasi als Robocop wieder von den Toten auf. Und am Schluss, kurz bevor er die Bösen um die Ecke bringt, gibt es ja noch diese Szene, wo Robocop durch eine Pfütze marschiert. Musste mal drauf achten, das sieht total aus, als würde er über Wasser gehen!«
Er nickt ein paar Mal schwachsinnig, mit so einem leicht debilen Ne-hätteste-nicht-gedacht-Ausdruck. Ich sage »Klar, Alter, Robocop ist Jesus, kein Zweifel« und versuche zu klingen wie jemand, der seinem Kind erzählt, dass es den Weihnachtsmann wirklich gibt.
Weitere Kostenlose Bücher