Extraleben - Trilogie
nächsten Ladeneingang.
»Hey, was ...«, versuche ich noch zu protestieren, doch da hat er mir schon die Hand auf den Mund gedrückt. Seine aufgerissenen Augen sagen: Alter, es ist ernst. Also Klappe halten. Vorsichtig schiebt Nick seinen Kopf aus dem Eingang raus und wirft einen Blick um die Ecke. An seinem Hals zuckt nervös eine Ader. Ich versuche, so still wie möglich zu stehen-wie früher, als wir immer auf dem Gelände der alten Ziegelei rumgeschlichen sind und uns vor den Arbeitern verstecken mussten. Endlich, er dreht sich zu mir um und zeigt mit dem Kinn Richtung Straße. Ich quetsche mich an ihm vorbei. So schlecht er auch fährt, an seinen Augen kann es nicht liegen: Das hat er mal wieder verdammt gut gesehen, der Beifahrer. Da steht echt jemand neben unserem Auto -und der kontrolliert nicht das Parkticket. Seelenruhig umrundet der Typ einmal den Wagen, bleibt dann auf der Fahrerseite stehen und hält die Hand ans Fenster, so als wollte er nachsehen, wie viel auf dem Tacho steht. Es ist offiziell: Unser Leben hat einen Allzeit-Tiefpunkt erreicht: Wir, zwei Männer im mittleren Alter, drücken uns vor dem Eingang eines Headshops rum und versuchen, nicht gesehen zu werden. Es ist einfach lächerlich. Wir reiben unsere Hintern genau an jener Art von Schaufenster, vor der sechzehnjährige Dorfdeppen auf Klassenfahrt einen totalen Abgang kriegen - um dann minutenlang so zu tun, als ob sie mit den ganzen Kifferutensilien, die da liegen, schon jahrzehntelange Erfahrung haben.
»Hm«, gelangweilter Blick, »hat der Soundso auch.«
Im Angebot sind ein Bong, so dick wie eine Regenrinne, und Bob-Marley-Batik-T-Shirts. Oh Mann, es lässt sich nicht in Worte fassen, wie total durch dieses Thema ist. Nick ist wieder dran mit Gucken.
»Klare Sache, ist 'n Kollege«, raunt er.
»Meinste echt?«
»Sicher, allein die Klamotten.«
Ich drängele mich nach vorne. Er hat recht: Der Typ hält sich präzise an die Company-Uniform: Anzug, Hemd, keine Krawatte. Doch am meisten fällt auf, dass er nicht in die Gegend passt. Er ist vielleicht 30, glatt rasiert, mit ordentlichem Haarschnitt und glänzenden Lederschuhen. Solche Typen sitzen in der Vielflieger-Lounge am Flughafen und lesen den »Harvard Business Review«, die stehen nicht vorm Pfandleiher, um Omas Schmuck zu verkloppen. Ich kann's nicht glauben.
»Aber woher wissen die, dass wir hier sind?«
Nick runzelt die Stirn und starrt mich vorwurfsvoll an.
»Das frage ich dich!«
Hey, Alter, jetzt mal sachte.
»Ich habe nicht telefoniert, nicht den Rechner angestellt, nicht ...«
Natürlich! Der Geldautomat! Aber das ist doch erst ein paar Stunden her ... Wie immer errät der Beifahrer meine Gedanken. Er lässt seinen Kopf resigniert aufs Brustbein plumpsen und atmet schwer aus; immerhin verkneift er sich, eine Facepalm zu machen. Wie ein Ertrinkender stemme ich mich gegen die reißende Strömung.
»Aber dafür müssten sie Zugriff auf mein Konto ...«, wende ich ein. Nick explodiert.
»Mann, Alter, deine Bankdaten hat die Company doch eh schon«, zischt er, »da brauchen die doch nur unter irgendeinem Vorwand bei der Bank anzurufen, so von wegen >wir haben hier eine Fehlbuchung<, und schon haben sie aus dem Azubi am Telefon deine Umsätze raus-social-engineert. Der erzählt denen sofort, wo du zuletzt Geld gezogen hast -und voila«.
Okay, Widerstand ist zwecklos. Ich stehe neben dem König der Verfolgungswahn-Geplagten wie ein gutgläubiger Stümper da, der tatsächlich glaubte, irgendein elektronisches System auf dieser Erde sei sicher. Viel schlimmer als die Demütigung ist, dass er mir diesen Patzer bis zum letzten meiner Tage unter die Nase reiben wird. Ungefähr so: Arzt: »Er hat noch zehn Sekunden zu leben.«
Nick (in mein Ohr schreiend): »DU HAST DAMALS DAS GELD GEZOGEN! «
Vielleicht vergisst der Beifahrer alles, wenn ich das Thema wechsle und ihn eine Runde in Ruhe dozieren lasse?
»Meinst du, wir können den Wagen noch benutzen?«, flüstere ich und versuche, so unschuldig zu klingen wie ein Elfjähriger, der seinem Vater erklären muss, warum dessen geliebte Rosenbüsche im Garten abgeflämmt sind. Ich konnte damals doch nicht ahnen, wie hoch die Stichflamme ist, wenn man die Köpfe von dreißig Streichholzpackungen abbricht und auf einmal anzündet. Nick verzieht das Gesicht. Er weiß, dass ich weiß, dass die Frage völlig idiotisch ist. Und trotzdem beantwortet er sie. Da ist er wie ein Hund, der schon hundertmal den Knochen geholt hat und
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