Extrem: Die Macht des Willens (German Edition)
meinen Motiven setzte ich mich das erste Mal richtig auseinander, als ich sie auch aus meinem Familienkreis gestellt bekam. Als ich nach meinem Lauf-abenteuer am Mont Blanc im Jahr 2007 nach Hause fuhr, erzählte ich allen von meinen sensationellen Erlebnissen und Erfahrungen. Ich schwebte auf Wolke sieben. Als ich dann auch meine Oma besuchte, meinte diese ganz trocken: „Dass du immer in den Bergen rumlaufen musst. Bleib doch auch einmal zu Hause. Was hat dir das denn jetzt wieder gebracht?“ Diese Frage fand ich interessant und auch berechtigt und sie regte mich zum Nachdenken an. Worin lag der Sinn in dem ganzen Lauf? Warum machte ich so etwas? Meine Oma schaffte es tatsächlich, dass ich mich sehr intensiv mit dieser Frage auseinandersetzte. Ich fragte mich in den folgenden Tagen immer wieder: Warum läufst du über vierzig Stunden am Stück um das Mont Blanc-Massiv? Um was geht es dir dabei wirklich? Ich fand heraus, dass es für mich hauptsächlich um die Intensität der Erfahrungen geht. Ich lebe in diesen Momenten wie beim Lauf um den Mont Blanc sehr intensiv. Die sehr starken Glücksmomente, wenn ich beispielsweise nach stundenlangem Bergauflaufen endlich den Pass erreiche und eine unbeschreiblich schöne Aussicht erleben darf. Die Morgensonne, die die umliegenden Berggipfel in einem warmen Rot erscheinen lässt. Das ist schwer in Worte zu packen. Du stehst einfach nur da, vergisst jegliches Zeitgefühl, bekommst Gänsehaut und erfreust dich an den Schönheiten der Natur. Wie ein kleines Kind. Du bist einfach im Reinen mit dir, obwohl du schon zwanzig Stunden und länger in extrem anspruchsvollem Gelände bei Tag und Nacht unterwegs bist. Das bedeutet für mich intensiv. Nur eine Stunde später befinde ich mich in meinem tiefsten Tief. Jeder Schritt fällt auf einmal schwer. Meine Muskeln schreien nach einer Pause. Du würdest dich am liebsten einfach nur hinlegen und schlafen. Die Augen fallen dir fast während des Laufens zu. Und ausgerechnet jetzt kommt die anspruchsvollste Passage des gesamten Rennens: ein Mörderanstieg mit über dreißig Prozent Steigung. Der Körper möchte aufgeben, doch der Kopf will weiter. Ich beginne die ersten Meter dieser sehr steilen Bergaufpassage hochzusteigen. Und urplötzlich bin ich wieder voll da. Die Schmerzen sind wie weggeflogen, von Müdigkeit keine Spur mehr. Ich lebe! Vor ein paar Sekunden schien die Welt für mich noch unterzugehen und nun laufe ich geschmeidig den Bergpfad hoch, als hätte das Rennen gerade erst begonnen. Wenn du dich in einer kritischen Lage befindest, geht es trotzdem irgendwie immer weiter, wenn du nicht aufgibst, sondern weiter einen Schritt vor den anderen setzt. Diese Erfahrungen, die eigene Grenze verschieben zu können, über einen toten Punkt hinwegzugehen, eine ausweglos erscheinende Situation zu meistern, stellen für mich besondere, intensive Lebensmomente dar, die ich bewusst suche und die mich antreiben. Solche Erfahrungen bekomme ich niemals, wenn ich mich immer nur in meiner „normalen“ Alltagswelt bewegen würde. Abenteuerläufe wie am Mont Blanc stiften mir persönlich einfach unheimlich viel Sinn. Ich definiere mich durch solche „Tätigkeiten“. Ein Maler drückt sich in seinen Bildern aus, ein Bildhauer durch seine Skulpturen, ein Sternekoch durch seine Gerichte und ein Architekt durch seine Gebäude. Ich drücke mich eben durch das Laufen, meine Abenteuer und auch meine Vorträge aus.
Motivation ist für mich nichts anderes als die Summe an Motiven, die das Handeln eines Menschen bestimmen. Nach Professor Steven Reiss gibt es sechzehn Lebensmotive, die fast alle unsere Handlungen steuern. Diese sechzehn Motive lauten:
Macht, Unabhängigkeit, Neugier, Anerkennung, Ordnung, Sparen, Ehre, Idealismus, Familie, Beziehung, Status, Rache/Wettbewerb, Sinnlichkeit, Essen, Körperliche Aktivität und Innere Ruhe.
Was davon sind Ihre Motive? Nehmen Sie sich die Zeit und beschäftigen Sie sich mit diesen Motiven. Die Kunst ist es, seine eigenen Motive zu erkennen und nach ihnen zu leben. Nur dann ist man auch motiviert. Wenn beispielsweise für jemanden Unabhängigkeit sein wichtigstes Motiv darstellt, wird dieser Mensch wohl kaum motiviert sein und glücklich werden, wenn er sich in einem festen Angestelltenverhältnis befindet, jeden Tag starre Arbeitszeiten zu befolgen hat, ständig den Anweisungen von anderen Menschen gehorchen muss und eine vierköpfige Familie zu versorgen hat. Oder stellen Sie sich einen Menschen vor,
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