Extrem: Die Macht des Willens (German Edition)
Bergablaufen zu gewöhnen. Mittlerweile trainierte ich mit Rucksack, in dem ich die gesamte Ausrüstung, die für den Lauf am Mont Blanc zwingend vorgeschrieben ist, dabei hatte. Und meine Trekkingstöcke waren ebenfalls immer öfter im Einsatz. Diese stellten sowohl für das Bergauf- als auch für das Bergablaufen eine ungemein große Erleichterung dar. Mit einigen tausend Höhenmetern in den Beinen fuhr ich Mitte Juli nach Ruhpolding, wo ich den Chiemgauer Bergultra, einen technisch anspruchsvollen Ultra-Bergmarathon über 100 Kilometer und 4.500 Höhenmeter laufen wollte. Dieser Lauf hatte es in der Tat in sich, besonders in Bezug auf das enge Zeitlimit. Für die 100 Kilometer mit über 4.500 Höhenmetern hatte man nur 18 Stunden Zeit zur Verfügung. Die ersten dreißig Kilometer verliefen noch relativ moderat auf flachem Terrain. Doch dann ging es richtig in die Berge. Vor allem der brutale Aufstieg zur Hörndlwand hatte es in sich. Auf nur zwei Kilometern ging es über 500 Höhenmeter steil bergauf. Und es kam noch schlimmer. Als ich endlich oben war, führte der schmale Pfad unglaublich steil bergab. 700 Höhenmeter auf nur drei Kilometern bergab! An Laufen war für mich nicht mehr zu denken. „Hauptsache gesund unten ankommen“, lautete mein Motto. Nach gut sechzig gelaufenen Kilometern merkte ich, dass es mit dem Zeitlimit von 18 Stunden für die 100 Kilometer eng werden würde. Ich wollte bei diesem „Trainingslauf“ unter keinen Umständen an mein Limit gehen und entschloss mich, nur die 80-Kilometer-Variante zu laufen. So kam ich nach 13 Stunden und 41 Minuten ins Ziel. Ich fühlte mich körperlich ein wenig müde, doch ich war nicht an mein Limit gegangen und verfügte noch über reichliche Reserven. Meilenstein Nummer drei auf dem Weg zum Mont Blanc war damit erreicht. Nun hatte ich noch gut sechs Wochen bis zum Lauf am Mont Blanc. Ich befand mich in einem sehr guten körperlichen und mentalen Zustand. Jetzt galt es diese Leistungsfähigkeit bis Ende August zu kompensieren und nur noch in ganz wenigen Bereichen zu steigern. Im Wesentlichen standen in den folgenden Wochen die sehr langen Trainingseinheiten an, die sowohl die Ausdauer, die Kraft als auch die Kraftausdauer trainierten. Und auch dem Laufen bei Nacht kam nun eine wichtige Rolle zu. Da ich beim Lauf um den Mont Blanc durch zwei Nächte laufen würde, wollte ich dies vorab im Training simulieren. Ich lief also wieder an meiner geliebten Teufelsmühle die Anstiege rauf und runter, mit Stirnlampe und kompletter Ausrüstung. Nach fast zwölf Stunden Bergauf und Bergab, 62 Kilometern und über 3.500 Höhenmetern kam ich um drei Uhr morgens wieder zufrieden und glücklich zu Hause an. Ein weiterer, wichtiger Schritt Richtung Mont Blanc war damit getan. Als Generalprobe für meine Mont Blanc-Umrundung nahm ich zwei Wochen vor dem Lauf am Gondo Event in der Schweiz teil. Gondo ist ein 100-Einwohner-Dorf im Schweizer Wallis an der Grenze zu Italien und einmal im Jahr Austragungsort eines spektakulären Rennens. Beim Gondo Event läuft man einen Doppelmarathon, zwei Marathons an einem Wochenende. Jeder mit knapp 2.000 Höhenmetern. Das ganze findet in einer atemberaubenden Berglandschaft statt. Jeden dieser beiden anspruchsvollen Bergmarathons lief ich konzentriert, kontrolliert und kam gesund und munter ins Ziel. Damit war auch Meilenstein Nummer vier auf dem Weg zum Mont Blanc erreicht.
Nachdem ich jeden Meilenstein, jedes dieser Teilziele erreichte, fühlte ich mich nicht nur körperlich gut vorbereitet, sondern war vor allem auch mental sehr positiv auf mein großes Ziel Ultra-Trail Mont Blanc eingestellt. Am Anfang war die Mont Blanc-Umrundung für mich ganz weit weg. Fast nicht vorstellbar. Doch mit jeder Trainingseinheit, mit jedem Wettkampf, mit dem Erreichen jedes Teilziels und mit jedem Schritt kam ich meinem großen Ziel ein Stück näher. Und nach dem vierten Meilenstein war ich mir ganz sicher, dass ich es schaffen werde. Ich hatte mir also durch die vier Meilensteine und auch durch die vielen Schritte zwischen den Meilensteinen eine Art innere Gewissheit erzeugt. Und der Erfolg am Mont Blanc gab mir schließlich recht.
So sieht es in meiner Welt, in der Welt eines Extremsportlers, aus. Doch auch im normalen Berufs- und Alltagsleben helfen einem Teilziele und Meilensteine weiter. Ein Ziel liegt häufig in weiter Ferne, ist nicht greifbar und momentan noch nicht vorstellbar. Da fällt es einem oft schwer, überhaupt den
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