Extrem: Die Macht des Willens (German Edition)

ich jetzt weites, flaches Buschland, das mich ein wenig an Australien erinnert. Nur ganz wenige, blätterlose Bäume säumen den Weg. Eine staubige Schotterpiste dient weiter als Laufuntergrund. Doch der Weg zieht sich gewaltig, ohne eine einzige Kurve verläuft er immer kerzengerade. In dieser monotonen Einöde liegt auch eine Lagune. Die Lagune Chaxa ist wahrhaft eine Oase inmitten des gewaltigen Salzsees. Unzählige Flamingos tummeln sich hier. Die Sonne verschwindet langsam, aber sicher hinter dem Horizont. Eine atemberaubende Farbenpracht am Himmel lässt mein Herz höher schlagen. Selten zuvor habe ich solch einen wunderschönen Sonnenuntergang gesehen.
    Mein Wecker klingelt, wie schon gewohnt, um 5:30 Uhr. Als ich meine Stirnlampe anschalte, sehe ich ganz deutlich den Hauch meines Atems vor mir. Verdammt, ist das kalt hier! Als ich nach meiner Trinkflasche greife, stelle ich fest, dass diese gefroren ist. Mit vor Kälte zitterndem Körper steige ich mühsam aus meinem Schlafsack, um mein Frühstück einzunehmen. Fünf Brote mit Marmelade. Ich benötige jede Kalorie für diesen Lauf. Draußen wird es nur ganz langsam hell. Selten zuvor in meinem Leben habe ich mich so auf die Sonne gefreut. Ich schreie förmlich nach ihr. Für mich ist es jeden Morgen eine enorme Überwindung, in der Kälte aus meinem Schlafsack zu steigen, mein Zelt abzubauen, meine Laufutensilien zu richten, meine Laufkleidung anzuziehen, bis ich endlich startklar bin. Wie gut, dass Christian und Benjamin hier sind und mich bei diesen Aufgaben unterstützen. So kann ich mich voll und ganz auf die jeweilige Etappe konzentrieren. Als die Sonne endlich am Horizont erscheint, zittere ich immer noch am ganzen Leib und bin froh, dass ich endlich loslaufen kann. Benni und Christian bauen noch unser Lager ab und fahren dann voraus.
    Ich werde immer wieder gefragt, was mir denn durch den Kopf geht, wenn ich täglich so lange laufe. Ich genieße es, die Zeit zu haben, um über viele Dinge nachdenken zu können. Dabei sind mir schon die besten Ideen gekommen. Ich denke teilweise über mein gesamtes bisheriges Leben nach, an meine Schulzeit, mein Studium, meine Familie und Freunde, an mein Unternehmen und auch an meine Zukunft. In einem anderen Moment bin ich mit meinen Gedanken wieder völlig im Hier und Jetzt. Dann nehme ich die Umgebung, die Landschaft, in der ich mich befinde, voll wahr. Sechs bis acht Stunden am Tag zu laufen, hört sich zunächst unglaublich viel an, gerade wenn man diese Leistung über zwei Wochen täglich erbringt. Doch die Zeit vergeht jeden Tag fast wie im Flug.
    Ich laufe um die Kurve und sehe plötzlich das Ortsschild vor mir: Antofagasta. Daneben stehen Benni und Christian und feuern mich an. Wir haben es fast geschafft. Wir sind fast im Ziel. Christian, Benjamin und ich fallen uns in die Arme und gratulieren uns gegenseitig zu einer tollen Leistung. Noch zwei Kilometer liegen vor uns. Als ich schließlich das Ortsschild hinter mir lasse, verschlägt es mir fast den Atem: Ich sehe das Meer! Vor mir erstreckt sich der tiefblaue Pazifische Ozean. Größer können die Kontraste gar nicht sein. Eben noch in der sandigen, staubigen Wüste und nur wenig später am marinblauen Pazifik. Überglücklich laufe ich die letzten Meter bis zum Hafen. Ich habe es tatsächlich geschafft! 600 Kilometer in vierzehn Etappen durch die Atacamawüste. Ein Traum geht damit für mich in Erfüllung. Christian, Benjamin und ich sind sprachlos, sitzen am Meer und genießen diesen wunderschönen Moment. Die warme Sonne und das Rauschen des Meeres erfüllen uns in diesem Augenblick mit einer sehr selten empfundenen Ergriffenheit.
    Beim Lauf durch die Atacamawüste bemerkte ich zum ersten Mal die Bedeutung eines gut eingespielten Teams. Ohne ein gut funktionierendes Team hätte ich diesen Wüstenlauf nicht erfolgreich bewältigen können. Teamwork spielt eine entscheidende Rolle, wenn es um Projekte wie in der Atacamawüste geht. Es fing schon bei der Vorbereitung für dieses Projekt Monate im Voraus an. Unzählige Aufgaben waren zu erledigen, wie eine Webseite zu erstellen, Vorberichte zu verfassen, Pressemitteilungen zu schreiben, Flüge und Fahrzeuge zu buchen, Abstimmung mit den Sponsoren, Equipment zusammenzustellen. Dieses Projekt hatte ganz andere Dimensionen und beanspruchte viel mehr Zeit und Energie in der Vorbereitung als ein organisierter Lauf. Bei einem organisierten Etappenlauf bekommst du meistens Verpflegung, Übernachtung und den