Extrem: Die Macht des Willens (German Edition)
schlüpfen. Über mein Zelt spanne ich bewusst kein Dach, um die unzähligen Sterne am Himmel begutachten zu können. Es scheint am ganzen Himmel zu funkeln. Ein wahnsinniger Anblick, der mich beruhigt in meine Träume sinken lässt.
Auf dem ersten Teilstück der Atacama Challenge ist es unser Ziel, von Calama über die Wüstenoasen Chiu Chiu und Caspana nach El Tatio zu laufen. Dort wollen wir einen Abstecher zu den gleichnamigen Geysiren machen und anschließend weiter nach San Pedro de Atacama laufen. Für diese knapp 200 Kilometer lange Strecke haben wir fünf Tage veranschlagt. Fünf Tage, vor allem wegen der zu überwindenden Höhe. Wir starteten auf knapp 2.200 Metern in Calama und werden bereits am dritten Tag auf fast 4.500 Metern sein, sofern alles nach Plan läuft. Doch zuvor heißt unser Ziel auf der zweiten Etappe: Caspana. Fast 1.000 Höhenmeter gilt es bis dorthin zu bewältigen. Nach 32 Kilometern erreichen wir diesen reizvollen und total abgeschiedenen Ort inmitten der Wüste. Ich traue zunächst meinen Augen nicht. Das ist ja wie im Paradies, schießt es mir durch den Kopf. Kontrastreicher hätten die Landschaften nicht sein können. Von der öden, monotonen und trockenen Sand- und Schotterpiste laufe ich in ein Tal, das sich durch saftig grüne Wiesen, eine reiche Vegetation und einen rauschenden Bach auszeichnet. Caspana, ein idyllisches 400-Einwohner-Dorf, erscheint wahrhaftig aus dem Nichts. Hier scheint die Zeit still gestanden zu sein. Den Ortskern bilden einzelne Lehmhütten. Sogar ein archäologisches Museum beinhaltet das kleine Andendorf. Wie Außerirdische werden wir von den wenigen Einwohnern betrachtet. Die Menschen sehen zufrieden aus. Ein schüchternes Lächeln huscht den meisten über das Gesicht. Hektik, Stress und Verkehr scheinen sie nicht zu kennen. Ein leckeres Abendessen mit den gastfreundlichen Hausherren rundet diesen ereignisreichen Tag ab. Wir genießen den Luxus, seit Tagen wieder die erste Dusche zu bekommen und in einem einfachen, aber komfortablen Bett schlafen zu dürfen.
Mein Lauftempo wird immer langsamer und die Kraftanstrengung immer größer. Ich laufe schon auf einer Höhe von 3.200 Metern. Doch es geht noch höher. Das Etappenziel heißt El Tatio bei den weltbekannten Geysiren, die auf knapp 4.300 Metern Höhe liegen. Eine lange, leicht ansteigende Sandpiste bildet den Untergrund. Und diese Piste scheint kein Ende zu haben. Der sanfte Wind bläst mir den feinen Staub direkt ins Gesicht und meine Zunge fühlt sich an, als läge sie in einem riesigen Sandkasten. Selbst in dieser unglaublichen Weite bekommst du einen Tunnelblick und siehst nur einen winzigen Ausschnitt aus dieser gewaltigen Wüste. Mein Fokus richtet sich immer nur auf den jeweils nächsten Schritt. Ich bin nur im Hier und Jetzt. Alles andere ist in diesem Moment ausgeblendet. Meter für Meter komme ich höher und die Luft wird immer dünner und kälter. Eine gewisse Monotonie macht sich in mir breit. Nichts als endlose Sand- und Schotterebenen umgeben mich. Ab und an tauchen trostlos erscheinende Büsche auf. An welchem Punkt warten wohl Christian und Benjamin auf mich? Plötzlich bewegt sich aus der Ferne etwas auf mich zu. Immer schneller und schneller. Was ist das denn bitte? Als es näherkommt, erkenne ich, dass ein schwarzer, gefährlich aussehender Hund auf mich zustürmt. Wo kommt der denn her? Hier wohnt doch niemand? Und vor allem: Was will der von mir? Glücklicherweise stellt sich der Vierbeiner als brav heraus und weicht vorerst nicht mehr von meiner Seite. Ich bin dankbar über diese gesellige Abwechslung. Er scheint mich beschützen zu wollen und läuft immer ein paar Meter voraus, um danach voller Begeisterung wieder zu mir zurückzukommen. Mir kommt es vor, als hätte er nur selten Kontakt zu Menschen. Umso mehr freut er sich, als er mich auf meinem Weg ein Stück begleiten kann. Doch so schnell der Hund aufgetaucht ist, genauso schnell verschwindet er wieder.
Die Anstiege nehmen immer mehr zu. An ein Lauftempo ist nicht mehr zu denken – Gehpassagen dominieren meinen Rhythmus. Ich komme immer schneller außer Atem und muss kurze Pausen einlegen. Mittlerweile habe ich die 4.000-Meter-Grenze überschritten. Die Luft wird immer dünner und merklich kälter. Die extremen Temperaturschwankungen stellen eines der größten Hindernisse bei diesem Abenteuer dar. In der Nacht fällt das Thermometer häufig unter Null Grad, während am Tag Temperaturen bis dreißig Grad das
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