Extrem
extreme Belastung kennen vielleicht nur Kampfjetpiloten. Darüber konnte ich mich mit Oberst Karsten Stoye, Kommodore des Aufklärungsgeschwaders der Bundeswehr, unterhalten, der bis vor kurzem noch in Afghanistan stationiert war. Ich erzählte ihm, dass ich selbst bei Stefan Raabs Wok-WM mitfahren durfte: Eingezwängt ins Kochgeschirr den Eiskanal hinunterbrettern und dabei in den Kurven bis zu 3 g ausgesetzt zu sein – das war eine extreme Erfahrung, die mich geradezu betäubte: Ich hatte das Gefühl, eigentlich keine Entscheidungen mehr treffen zu können. Im Cockpit eines Kampfjets wäre das natürlich fatal. Deshalb fragte ich den Oberst: Wie können Sie die Konzentration bewahren?
„Indem ich mich auf die Dinge fokussiere, die ich zu tun habe. Außerdem spanne ich alle Muskeln an – Bauch, Beine, Arme – und führe eine sogenannte Pressatmung durch, damit das Blut nicht nach unten sackt. Das wird noch unterstützt durch die sogenannte Anti- g -Hose, die wir Piloten tragen. Sie bläst sich auf und drückt zusätzlich auf die entsprechende Muskulatur und auf die Adern – damit das Blut im Kopf bleibt. Denn die größte Gefahr ist, dass man nichts mehr sehen kann, also einen Blackout bekommt: die Ursache für viele Abstürze.“
Tatsächlich beginnt bei Kräften ab 5 g oder mehr das Blut durch die Beschleunigung in die Beine abzusacken, und irgendwann wird das Gehirn nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Wenn das zu lange dauert, kommt es zur Bewusstlosigkeit, die so lange anhält, bis die Blut- und Sauerstoffzufuhr wieder gewährleistet ist. Deshalb meine nächste Frage an den Kommodore: Wenn Sie zum Beispiel bei 6 g nicht „pressen“ würden, was genau würde mit Ihrem Körper passieren?
„Als Erstes würde das Farbsehen ausfallen. Die Zapfen, die im Auge dafür zuständig sind, versagen den Dienst. Dann arbeiten nur noch die Stäbchen und man sieht alles in Schwarzweiß. Das ist der erste Indikator dafür, dass es gefährlich wird. Als Zweites käme der Tunnelblick, der einen Verlust des peripheren Sehens bedeutet. Man blickt dann wie durch einen Tunnel. Und wenn ich diesen Tunnelblick habe, dann muss ich sofort aus der Kurve gehen – das ist schon höchste Anspannung in dem Moment. Denn auf den Tunnelblick folgt sofort ein Blackout!“
Eine unheimliche Vorstellung, wie schnell das Gehirn des Jetpiloten nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird und es zur Verminderung des farblichen Sehens und zum Tunnelblick kommt. Denn nicht nur das Gehirn, auch die Netzhaut ist irgendwann nicht mehr ausreichend durchblutet. Ein Phänomen, das in der Flugmedizin als Greyout bezeichnet wird. Der darauffolgende Blackout schließlich kann in einem Kampfjet schnell lebensgefährlich werden, weiß Oberst Stoye:
„Dann ist man etwa 15 Sekunden lang weg. Man denkt, man lebt noch. Aber man sieht nichts mehr, man kannnichts mehr wahrnehmen. Und es dauert 15 Sekunden, bis das Blut sich wieder stabilisiert hat. Und 15 Sekunden sind bei der enormen Geschwindigkeit im Kampfjet eine lange Zeit.“
Greyout und Blackout können durch die richtige Pressatmung hinausgezögert werden, und wenn die Beschleunigung nachlässt, erholt sich der Körper innerhalb weniger Sekunden. Aber woher weiß man eigentlich, wo die persönliche Grenze liegt?
„Während meiner Ausbildung bin ich schon mal – unter Aufsicht meines Fluglehrers – an diese Grenze herangegangen, um mich selbst auszutesten, als eine Art Lebensversicherung.“
In einer solchen Extremsituation einen kühlen Kopf zu bewahren, ist für uns normale Menschen fast unvorstellbar. Kann man sich mental darauf vorbereiten?
„Es ist sehr wichtig, dass man sich vor einem Flug ,geprimed‘ hat. Das heißt: Man muss sich im Vorfeld klarmachen, wie man sich im Notfall verhält, alles durchdacht haben, noch bevor man in ein Flugzeug steigt. Ich sage immer: Man muss gedanklich zehn bis 15 Sekunden vor dem Flugzeug sein. Wenn man mit dem Flugzeug fliegt, ist es unter Umständen schon zu spät …“
… und im äußersten Notfall kommt dann der berühmt-berüchtigte Schleudersitz zum Einsatz, der das Leben des Piloten rettet. Gibt es Übungen oder Simulationen, mit denen man den Not-Ausstieg trainiert?
„Es gibt zwar eine Schleudersitz-Simulation, mit der kann man allerdings nur das Verfahren einüben. Das bildet also nicht die tatsächliche Schleudersitzautomatik ab – das könnte man auch gar nicht. Denn wenn man aus einem Schleudersitz
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