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Extrem

Extrem

Titel: Extrem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Goedde
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bestätigen: Wer oder was der Mensch ist und was er tut, das entscheidet sich zu jedem Zeitpunkt seines Lebens neu. Donald Draper wird sein Verhalten also nicht mit seinen Genen oder der männlichen Biologie im Allgemeinen entschuldigen können. Er ist frei, seiner Frau treu zu sein. Geht er fremd, muss er die Konsequenzen tragen. Der Philosoph Karl Jaspers erzählt von einer Begebenheit, bei der ein zu verurteilender Verbrecher sagte: „Herr Richter, ich kann nichts dafür, ich musste aufgrund meiner schweren Kindheit so handeln“ – worauf der Richter antwortete, es tue ihm leid, aber aufgrund seiner Kindheit könne er nicht anders, als den Angeklagten für seine Tat zu verurteilen.

Auf Gullivers Spuren
    Grenzen sind ein interessantes Phänomen. Geographisch gesehen, also dem Kern ihrer Bedeutung nach, könnte man sie so definieren: Was auf der einen Seite der Grenze ist – zum Beispiel Polen –, ist auf der anderen Seite nicht. Dieser Trennlinie ungeachtet hat das Wort „Grenze“ es offenbar von der einen auf die andere Seite geschafft, haben wir Deutschen es aus dem Polnischen übernommen (vielleicht haben die Polen so lange „Granica, Granica“ rufend an der Oder gestanden, dass die Deutschen irgendwann kapierten, dass sie den Fluss nicht überqueren durften, auch wenn sie dieses Wissen im Laufe der Geschichte wieder eingebüßt zu haben scheinen).
    Grenzen sollten möglichst genau sein; im anderen Fall gibt es allerlei Unannehmlichkeiten. Die fangen bei den Nachbarn am Gartenzaun an und hören bei kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Staaten auf. Immer geht es um Grenzen, um den haargenauen Verlauf einer Linie. Wir verwenden das Wort jedoch nicht ausschließlich in diesem Sinne, also um die Besitzverhältnisse von Land zuregulieren. Der Körper zum Beispiel hat als physikalisches Objekt Grenzen, über deren Verlauf es wenig zu verhandeln gibt. Und wenn von körperlichen Extremsituationen die Rede ist, so meinen wir damit meist ebenfalls das Erreichen einer Grenze. Die Grenze der schnellstmöglichen Bewegung zum Beispiel, oder eine Temperatur, die den maximalen Punkt der uns erträglichen Hitze oder Kälte markiert – alles Grenzen, die Thema dieses Buches sind.
    In der Philosophie taucht in Verbindung mit Grenzen ein logisches Problem auf, das sogenannte Haufen-Paradox, im Fachjargon Sorites-Paradoxie genannt (von griechisch soros – der Haufen). Der Haufen bereitet der Logik deshalb Schwierigkeiten, weil sie, vereinfacht gesagt, die genaue Zahl nicht bestimmen kann, bei der der Satz „x−1 ist ein Haufen“ ungültig ist. Denn es ist logisch gesehen richtig, dass zum Beispiel 1000 Sandkörner einen Haufen bilden, ebenso wie 1000 − 1, also 999. Und auch 999 − 1, also 998 Sandkörner, sind immer noch ein Haufen. Doch ab dem wievielten Sandkorn ist der Satz „x−1 ist ein Haufen“ falsch? Würden wir drei Körner (4 – 1) noch als solchen bezeichnen? Oder zwei (3 – 1)? Wo ist die Grenze zwischen der Feststellung „Das ist ein Haufen“ und der Aussage „Das ist kein Haufen“? Bei sieben, oder eher bei 25 Körnern? Es gibt eine ganze Reihe solcher Wörter, die in der Philosophie deshalb „ungenaue Begriffe“ genannt werden: Wie viele Haare zum Beispiel muss ein Mann noch auf dem Kopf haben, damit er nicht als kahlköpfig gilt?
    Was nun die Grenzen unserer Möglichkeiten anbelangt, scheinen diese in ähnlicher Weise schwer zu definieren zu sein. Vieles haben wir lange für unmöglich gehalten, zum Beispiel die 100 Meter in weniger als 9,6 Sekunden zu laufen, und dann kommt der Jamaikaner Usain Bolt und pulverisiert den alten Rekord. Viele Grenzen des körperlichMachbaren sind im Lauf der letzten Jahrzehnte durch technische Erfindungen durchbrochen worden. Wir bewegen uns in Kampfjets mit Überschallgeschwindigkeit, tauchen mithilfe von Sauerstoffflaschen in bodenlose Meerestiefen, und selbst die Schwerkraft stellt für uns kein Hindernis dar – wir machen auch vor dem Weltraum nicht halt. Ja, wir sind geneigt zu glauben, es werde im Angesicht der Technik überhaupt niemals eine Grenze geben im Wettbewerb um das Schneller, Höher, Weiter.
    Das gilt jedoch ebenso in umgekehrter Richtung: Mit bloßem Auge können wir Objekte nur bis zu einer bestimmten Größe sehen. Deshalb glaubten die großen Denker über Jahrtausende, es müsse so etwas wie kleinste unteilbare Elemente geben, aus denen die Welt zusammengesetzt ist. Da wir jedoch extrem Kleines nicht sehen können, blieb

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