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Extrem

Extrem

Titel: Extrem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Goedde
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dies immer eine Vermutung – die vor etwas mehr als 100 Jahren durch die Entdeckung des Aufbaus der Atome (nach dem griechischen Wort „a-tomos“ = „unteilbar“) bestätigt und später mit der Spaltung von Atomkernen widerlegt wurde. Es geht also noch kleiner! Vielleicht tröstet es angesichts dieses herben Irrtums der großen Denker, dass schon im 17. Jahrhundert Mikroskope gebaut wurden, mit denen man Bakterien beobachten konnte? Schließlich wurde es zwei Jahrhunderte später sogar möglich, die noch kleineren Viren für das mikroskopische Auge sichtbar zu machen. Dabei gilt: Je kleiner das beobachtete Objekt, desto raffinierter müssen die optischen Apparaturen ausfallen. Sie eröffnen uns den Zugang zu einer völlig neuen Welt – der Welt kleinster Lebewesen. Doch können wir uns darin auch bewegen?
Die Welt im Sandkorn
    Der 1957 geborene britische Künstler Willard Wigan hat ungefähr 180 Kunstwerke geschaffen, die – hier kehren wir ein letztes Mal zu unserem Haufen zurück – nicht größer sind als ein Sandkorn. Sandkörner sind zum Teil auch sein Arbeitsmaterial: Aus einem hat er, wohlgemerkt mit bloßer Hand, eine Nachahmung des David von Michelangelo geschnitzt. Auch eine Kopie der Trophäe des FIFA World Cup befindet sich unter seinen Werken, die meist an die 0,005 mm groß sind. Das sind fünf Tausendstel eines Millimeters! Neben Sandkörnern verwendet Wigan für seine Skulpturen Nylon, Staubpartikel, Gold und Spinnennetze. Um sie anzuschauen, benötigt der Betrachter ein Mikroskop mit 400-facher Vergrößerung. 2007 wurde der in Birmingham lebende Künstler von Prinz Charles mit einer Ehrenmedaille „im Dienste der Kunst“ ausgezeichnet, und Gerüchten zufolge verkaufte er seine Kunstwerke für 20 Millionen Dollar an einen Privatsammler.
    Das Faszinierende an Wigans Arbeiten ist die Tatsache, dass sie auf einem jahrelangen Training absoluter Körperbeherrschung basieren. Wenn Gulliver sich auf seiner Reise nach Liliput in der Miniaturwelt bewegt, geht schon bei einem leisen Zittern seiner Nasenflügel einiges zu Bruch. Also muss der Riese lernen, in totaler Bewegungslosigkeit zu verharren. Für Wigan gilt das Gleiche. In einem Interview hat er mir eindrucksvoll erzählt, wie er dies schafft und wie es überhaupt zu dieser unvorstellbaren Überschreitung der Grenze in das Reich der Mikrometer gekommen ist.
    Herr Wigan, wann haben Sie bemerkt, dass Sie außergewöhnliche Fähigkeiten haben?
    Als ich fünf Jahre alt war, entdeckte ich meine Faszination für kleine Objekte, vor allem für kleine Insekten. Ich war viel im Garten und schaute mir Ameisen an. Ich begann, in einer Fantasiewelt zu leben, und dachte, dass die Ameisen sprechen können und in kleinen Häusern wohnen. Also fing ich an, kleine Häuser für die Ameisen zu basteln: Ich nahm die Rasierklinge meines Vaters und baute aus Holzsplittern winzige Apartments mit Türen, Stühlen und Fenstern, damit die Ameisen ein Picknick machen konnten. Ich habe die Tierchen mit Honig und dem Zuckerguss vom Kuchen meiner Mutter angelockt …
    Wie hat Ihre Mutter reagiert, als sie die Mini-Häuser sah?
    Sie war beeindruckt und sagte: „Willard, je kleiner du die Dinge machst, desto größer wird dein Name werden.“ Und da war mir klar, was ich werden wollte: der weltgrößte Künstler der Geschichte von mikroskopisch kleinen Kunstwerken. Ich konnte mich mit dieser Kunstform in gewisser Hinsicht beweisen; aufgrund einer Legasthenie konnte ich damals – und kann ich bis heute – nur sehr schlecht lesen und schreiben.
    Ist Ihre Kunst also das Ergebnis eines Traumas Ihrer Kindheit?
    In der Schule sagte die Lehrerin zu den anderen Kindern, dass ich der Grund dafür sei, warum es das Wort „Versager“ gebe – das war schon ziemlich traumatisierend. Ich war in der Schule also nur körperlich anwesend, nie mit meiner Seele. Immer wenn ich nach Hause kam, experimentierte ich mit meinen Fähigkeiten: Ich setzte mich zum Beispiel eine Stunde lang einfach nur still hin – ich war beinahe besessen von der Bewegungslosigkeit. Ich bastelte Werkzeuge, die scharf genug waren, um ein menschliches Haar dreißig Mal zu teilen. Oder ich nahm eine Nadel und einen Faden und probierte aus, wie oft ich den Faden einführen konnte, ohne das Nadelöhr zu berühren. Es war fast so, als hätte es damals eine Kraft gegeben, die mir befohlen hat, all das zu tun.
    Als Sie älter wurden, begannen Sie dann, kleine Kunstwerke zu erschaffen   …
    … zuerst eine kleine

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