Ezzes
Arbeit, doch der war noch nicht da. Also nahm Bronstein die Dinge selbst in die Hand. Bewaffnet mit einem Häferl betrat er die Küche, bereitete den Kaffee zu, stellte die Kanne aufs Feuer, wartete, bis die ihre Arbeit getan hatte und goss sich dann eine ordentliche Menge ein. Er fügte Milch und Zucker bei, rührte ein wenig um und riskierte einen ersten Schluck. Er war mit seiner Leistung zufrieden und begab sich wieder auf den Gang, um zu seinem Amtszimmer zurückzukehren.
Er betrat sein Büro und versuchte, seinen Schreibtisch zu ordnen. Irgendwie machte ihn die Perspektive, in wenigen Minuten dem obersten Chef Bericht erstatten zu müssen, nervös. Dabei war diese Regung völlig absurd. Gut, Schober war einmal Bundeskanzler gewesen, ein Umstand, auf dem er seitdem bei jeder Gelegenheit elendslang herumritt, aber objektiv betrachtet konnte man kaum behaupten, dass seine Kanzlerschaft sonderlich erfolgreich gewesen wäre. Vielmehr verdankte der Polizeipräsident allein dem Zufall diesen Karrieresprung. Doch bei nüchterner Betrachtung war Schobers ganze Karriere eine einzige Aneinanderreihung von für ihn glücklichen Zufällen gewesen. Vor nicht ganz dreißig Jahren war der aus Oberösterreich stammende Schober in den Dienst der Wiener Polizei eingetreten, mithin also nur wenige Jahre vor Bronstein selbst, und sein Weg war alles andere als spektakulär verlaufen. Noch kurz vor dem Krieg war sich Bronstein sicher gewesen, sich den Namen Schober niemals merken zu müssen. Der Mann war damals viezig gewesen, und nichts hatte darauf hingedeutet, dass er jemals mehr erreichen würde als eine standesgemäße Pension. Doch Schober war ob seines Alters nicht eingerückt, und während Bronstein und seinesgleichen irgendwo vor Tarnow-Gorlice den Kopf für Gott, Kaiser und Vaterland hinhielten, brachte sich Schober peu à peu in Stellung.
Bronstein erinnerte sich noch an die turbulenten Tage im November 18, als er, eben erst von der Front zurück und wieder in den Dienst getreten, die Meldung erhielt, der sozialdemokratische Regierungschef Renner habe ausgerechnet den farblosen Nullgruppler Schober zum Polizeipräsidenten ernannt. Bronstein hatte damals zweimal nachgefragt, ob diese Information nicht nur ein Witz unter Kollegen war, doch bei der amtsinternen Weihnachtsfeier hielt Schober schon seine erste große Rede. Wie viele Präsidenten vor ihm sprach Schober damals vollmundig von den notwendigen Reformen, von Erneuerung und Steigerung der Effektivität. Doch sein Eifer erlahmte schon bald, nach wenigen Wochen hörte man kaum noch Neues aus dem Präsidentenbüro. Als im Juli 1920 die Regierung zerbrach, zerbrachen sich alle Beamten in der Wiener Polizei den Kopf, ob die neue Koalition aus Christlichsozialen und Deutschnationalen Schober im Amt belassen würde. Doch es zeigte sich, dass Schober ein Parteigänger der Deutschnationalen war, und so hatte er keinerlei Probleme mit seiner Weiterbestellung. Der neue Kanzler hielt sich freilich nicht allzu lange, und im Sommer 1921 suchten die beiden Parteien nach einem akzeptablen Kompromiss für den Regierungsvorsitz. Nun wurde offenbar, dass Schober auch den Christlichsozialen durchaus zugetan war, und der Diener vieler Herren avancierte zur allgemeinen Überraschung zum dritten Bundeskanzler der noch jungen Republik. Wenn er aber geglaubt hatte, nun am Ziel seiner Wünsche zu sein, sah er sich rasch getäuscht. Sein Gestaltungsspielraum blieb von Anfang an überaus beschränkt, und schon nach wenigen Wochen taumelte die Regierung von einer Krise in die nächste. Schober glänzte bei den verschiedensten Gelegenheiten mit großartigen Ankündigungen, doch gelang es ihm nicht einmal annähernd, diesen Versprechungen Taten folgen zu lassen. Nicht nur die beiden regierenden Parteien, sogar seine eigenen Ministerließen ihn auflaufen, und bald galt der Regierungschef mit der charakteristischen Sehhilfe nur noch als ohnmächtiger Tollpatsch, den keiner ernstzunehmen brauchte. Nach einem knappen halben Jahr schien Schober denn auch unwiderruflich am Ende zu sein. Die Parteien zankten sich mehr denn je, und nach einer turbulenten Nationalratssitzung war Schober ein Ex-Kanzler, während sein Nachfolger Walter Breisky an seinem Kabinett bastelte.
Doch offenbar kam über Nacht doch noch eine Verständigung zwischen Schwarz und Blau zustande, denn am nächsten Morgen wurde Breisky ganz einfach wieder abgewählt. Schober konnte seine Regierungsarbeit fortsetzen. Aber für jeden
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