Fabelheim: Roman (German Edition)
entsetzt über die Folgen der gewalttätigen Nacht. Ein zerschmetterter Spiegel. Eine zerbrochene Lampe. Ein Tisch, der nur noch als Brennholz zu gebrauchen war. Und am Ende der Halle ein klaffendes Rechteck anstelle eines Fensters.
»Sieht so aus, als hätten sie noch andere reingelassen«, sagte Kendra.
Seth untersuchte gerade angesengte Haare in einer kleinen Lache auf dem Boden. »Opa?«, rief er. »Ist irgendjemand hier?«
Die Stille war eine unheilverkündende Antwort.
Kendra ging die Treppe zur Eingangshalle hinunter. Teile des Geländers waren verschwunden. Die Haustür hing schief, und ein Pfeil ragte aus dem Rahmen. Primitive Zeichnungen verschandelten die Wände, einige waren hineingebrannt, andere einfach hingekritzelt.
Wie in Trance durchstreifte Kendra die unteren Räume des Hauses. Das ganze Haus war förmlich ausgeweidet. Fast alle Fenster waren zerstört. Eingeschlagene Türen lagen weit entfernt von ihren Rahmen. Aus übel zugerichteten Möbeln quoll Füllmaterial auf zerfetzte Teppiche. Ruinierte Vorhänge baumelten in Fetzen von den Gardinenstangen. Kronleuchter lagen in Scherben auf dem Boden. Von einem verkohlten Sofa war nur noch die Hälfte übrig.
Kendra ging zur hinteren Veranda. Windspiele lagen verheddert auf dem Boden. Die Möbel lagen über den ganzen Garten verteilt. Ein zerbrochener Schaukelstuhl hing kopfüber auf einem Springbrunnen. Aus einer Hecke ragte ein Bastsofa hervor.
Zurück im Haus, fand Kendra Seth in Opas Arbeitszimmer. Es sah aus, als wäre ein Amboss auf den Schreibtisch gefallen. Pulverisierte Erinnerungsstücke übersäten den Boden.
»Sie haben alles verwüstet«, sagte Seth.
»Es sieht so aus, als wäre ein Abrisstrupp mit Vorschlaghammern hier durchgekommen.«
»Oder mit Handgranaten.« Seth deutete auf eine Stelle, an der jemand Teer auf die Wand geschmiert zu haben schien. »Ist das Blut?«
»Es sieht zu dunkel für menschliches Blut aus.«
Seth bahnte sich einen Weg um den zersplitterten Schreibtisch herum zu dem leeren Fenster. »Vielleicht sind sie rausgekommen.«
»Ich hoffe es.«
»Da draußen auf dem Rasen!«, sagte Seth. »Ist das ein Mensch?«
Kendra trat ans Fenster. »Dale?«, rief sie.
Die auf dem Boden liegende Gestalt rührte sich nicht. »Komm«, sagte Seth und eilte durch die Trümmer.
Kendra folgte ihm durch die Eingangstür und um das Haus herum. Sie rannten zu der Gestalt hinüber, die reglos neben einer umgestürzten Vogeltränke lag.
»Oh nein!«, stieß Seth hervor.
Es war eine bemalte, detailgetreue Kopie von Dale. Nur die Farben wirkten nicht natürlich. Dales Kopf war zur Seite gedreht, die Augenlider fest zusammengepresst, die Arme schützend erhoben. Die Proportionen stimmten genau. Er trug dieselben Sachen, die er in der vergangenen Nacht getragen hatte.
Kendra berührte die Figur. Sie war aus Metall, genau wie die Kleider. Bronze vielleicht? Blei? Stahl? Sie klopfte mit den Knöcheln auf den Unterarm. Er klang massiv. Kein hohles Echo.
»Sie haben ihn in eine Statue verwandelt«, sagte Seth.
»Glaubst du, er ist es wirklich?«
»Er muss es sein!«
»Hilf mir, ihn umzudrehen.«
Sie wanden beide ihre ganze Kraft auf, aber Dale rührte sich nicht. Er war zu schwer.
»Ich hab’s wirklich vermasselt«, sagte Seth und drückte sich die Hände auf die Schläfen. »Was hab ich nur angerichtet?«
»Vielleicht können wir ihn zurückverwandeln.«
Seth kniete nieder und beugte sich dicht über Dales Ohr. »Wenn Sie mich hören können, geben Sie uns ein Zeichen!«, brüllte er.
Die Metallfigur reagierte nicht.
»Glaubst du, Opa und Lena sind hier auch irgendwo?«, fragte Kendra.
»Wir werden sie suchen müssen.«
Kendra legte die Hände an den Mund. »Opa! Opa Sørensen! Lena! Könnt ihr mich hören?«
»Sieh dir das an«, sagte Seth und hockte sich neben die umgestürzte Vogeltränke. Sie lag in einem Blumenbeet. In dem Beet war ein deutlicher Fußabdruck zu sehen – drei große Zehen und eine schmale Ferse. Der Abdruck war so groß, dass er von einer Kreatur stammen musste, die mindestens so groß war wie ein erwachsener Mensch.
»Ein Riesenvogel?«
»Schau dir das Loch hinter der Ferse an.« Seth steckte den Finger in ein Cent-Stück-großes Loch. »Mindestens zehn Zentimeter tief.«
»Unheimlich.«
Seth war aufgeregt. »Es muss ein spitzes Ding hinten an der Ferse haben, einen Sporn oder so was.«
»Was was bedeutet?«
»Wir können es wahrscheinlich aufspüren.«
»Aufspüren?«
Seth bewegte sich
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