Fabelheim: Roman (German Edition)
Seth lässig.
»Warum sind sie uns dann nicht holen gekommen?«
Seth gab keine Antwort. Kendra hatte ihn während der Nacht absichtlich verschont. Die Folgen seiner Fensteraktion waren brutal genug gewesen. Und Seth hatte sich wirklich reuig gezeigt. Aber jetzt wurde er langsam wieder zu dem Idioten, der er war.
Kendra funkelte ihn an. »Dir ist doch klar, dass du sie vielleicht alle umgebracht hast.«
Er verzog das Gesicht und drehte sich weg; seine Schultern wurden von Schluchzern geschüttelt. Dann vergrub er sein Gesicht in den Händen. »Es geht ihnen wahrscheinlich gut«, quiekte er. »Dale hatte ein Gewehr und alles. Sie wissen, wie sie mit so etwas fertigwerden.«
Als Kendra sah, dass Seth sich offenkundig ebenfalls Sorgen machte, fühlte sie sich miserabel. Sie ging zu ihm und versuchte, ihn zu umarmen. Er stieß sie weg. »Lass mich in Ruhe.«
»Seth, was immer passiert ist, es ist nicht deine Schuld.«
»Natürlich ist es meine Schuld!« Seine Nase war jetzt völlig verstopft, und er schniefte.
»Ich meine, sie haben uns überlistet. Irgendwie wollte ich auch das Fenster aufmachen, als ich diese Wölfe gesehen habe. Du weißt schon, für den Fall, dass es doch kein Trick war.«
»Ich wusste, dass es eine List sein könnte«, schluchzte er. »Aber das Baby sah so echt aus. Ich dachte, sie hätten es vielleicht gekidnappt, um es als Köder zu benutzen. Ich dachte, ich könnte es retten.«
»Du hast versucht, das Richtige zu tun.« Sie machte abermals Anstalten, ihn zu umarmen, aber er stieß sie wieder weg.
»Lass das«, blaffte er.
»Ich wollte dir keine Vorwürfe machen«, sagte Kendra. »Du hast dich nur so benommen, als wäre es dir völlig egal.«
»Natürlich ist es mir nicht egal! Glaubst du, ich hätte keine Angst, nach unten zu gehen und zu sehen, was ich angerichtet habe?«
»Du hast gar nichts angerichtet. Sie haben dich überlistet. Wenn du es nicht getan hättest, hätte ich das Fenster geöffnet.«
»Wenn ich im Bett geblieben wäre, wäre nichts von alledem passiert«, jammerte Seth.
»Vielleicht geht es ihnen gut.«
»Klar. Und sie lassen ein Monster ins Haus und bis zu
unserer Tür kommen. Ein Monster, das so tut, als wäre es Opa.«
»Vielleicht mussten sie sich im Keller oder irgendwo verstecken.«
Seth weinte nicht mehr. Er griff nach einer Puppe und wischte sich an ihrem Kleid die Nase ab. »Ich hoffe es.«
»Nur für den Fall, dass tatsächlich etwas Schlimmes passiert ist, du darfst dir keine Vorwürfe machen. Du hast nur ein Fenster geöffnet. Wenn diese Ungeheuer etwas Schlimmes getan haben, ist es ihre Schuld.«
»Zum Teil.«
»Opa, Lena und Dale wissen alle, dass es riskant ist, hier zu leben. Ich bin sicher, dass es ihnen gut geht, aber wenn es ihnen nicht gut geht, darfst du dir keine Vorwürfe machen.«
»Vielleicht.«
»Ich meine es ernst.«
»Ich mag es lieber, wenn du lustig bist.«
»Weißt du, was toll war?«, fragte Kendra.
»Was?«
»Wie du Goldlöckchen gerettet hast.«
Er lachte und prustete ein wenig durch seine verstopfte Nase. »Hast du gesehen, wie übel das Salz diesen Kerl verbrannt hat?« Er griff abermals nach der Puppe und wischte sich noch einmal die Nase an ihrem Kleid ab.
»Das war wirklich mutig.«
»Ich bin nur froh, dass es funktioniert hat.«
»Das war ein echter Geistesblitz.«
Seth blickte zur Tür und dann wieder zurück zu Kendra. »ich glaube, wir sollten runtergehen und uns den Schaden ansehen.«
»Wenn du es sagst.«
KAPITEL 11
Nachspiel
K endra wusste, dass sie Schlimmes erwartete, sobald sie die Tür öffnete. Die Wände neben der Treppe waren von gezackten Rillen zerfurcht. Primitive Piktogramme verschandelten die Außenseite der Tür, daneben waren dutzende weniger ordentlicher Kerben und Kratzer zu sehen. Unten beim Treppenabsatz war die Wand mit einer verkrusteten, braunen Substanz verschmiert.
»Ich schnappe mir etwas Salz«, sagte Seth. Er kehrte zu dem Ring rund um das Bett zurück und füllte seine Hände und Taschen mit dem Salz, das in der Nacht zuvor den Eindringling versengt hatte.
Als Seth sich wieder zu ihr gesellte, ging Kendra die Treppe hinunter. Die Stufen knarrten laut in dem stillen Haus. Die Halle am Fuß der Treppe war noch schlimmer zugerichtet als der Treppenaufgang. Auch hier waren tiefe Kratzer von Klauen in den Wänden. Die Badezimmertür war aus den Angeln gerissen und hatte drei zersplitterte Löcher. Teile des Teppichs waren verbrannt und besudelt.
Kendra ging den Flur entlang,
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