Fabelheim: Roman (German Edition)
ist?«
»Eure Eltern kennen die wahre Natur dieses Ortes nicht«, sagte Oma. »Und sie würden es auch nicht glauben, ohne es gesehen zu haben.«
»Genau!«, antwortete Kendra. »Wenn du scheiterst, wird Dad als Erstes in euer Haus gehen und Nachforschungen anstellen. Nichts, was wir sagen könnten, würde ihn aufhalten. Und er wird wahrscheinlich die Polizei rufen, und die ganze Welt wird von diesem Ort erfahren.«
»Sie würden nichts Ungewöhnliches sehen«, entgegnete Oma. »Aber viele Menschen würden auf unerklärliche Weise sterben. Sie würden höchstens die Kuh entdecken, denn Viola ist trotz ihrer magischen Milch ein sterbliches Wesen.«
»Bei dem Troll haben wir dir doch auch geholfen«, beharrte Seth. »Und ganz gleich, was du sagst, ich werde dir sowieso folgen.«
Oma warf die Hände in die Luft. »Im Ernst, Kinder, ich denke, es wird alles gut gehen. Ich weiß, das Szenario, das
ich beschrieben habe, klingt schrecklich. Aber Dinge wie diese geschehen ab und zu in Reservaten, und normalerweise bekommen wir sie immer in den Griff. Ich sehe keinen Grund, warum es diesmal anders sein sollte. Hugo wird alles ohne ernsthafte Zwischenfälle wieder in Ordnung bringen, und wenn es so weit kommen sollte, bin ich eine verdammt gute Schützin mit der Armbrust. Wartet gleich hinter den Toren auf mich, und ich werde euch schon bald holen kommen.«
»Aber ich will sehen, wie Hugo Muriel fertigmacht«, beharrte Seth.
»Wenn wir diesen Ort eines Tages erben sollten, wirst du uns auch nicht länger beschützen können«, warf Kendra ein. »Wäre es nicht eine gute Erfahrung für uns, zu sehen, wie Hugo die Situation handhabt? Vielleicht könnten wir sogar helfen?«
»Eine Exkursion!«, rief Seth.
Oma sah sie liebevoll an. »Ihr werdet so schnell groß«, seufzte sie.
KAPITEL 16
Die Vergessene Kapelle
D ie Sonne näherte sich zögernd dem Horizont, und Kendra blickte aus der Rikscha und beobachtete, wie die Bäume vorbeizogen. Sie erinnerte sich daran, wie sie auf dem Weg zum Reservat aus dem Fenster des SUV geschaut hatte. Diesmal war es viel lauter, holpriger und windiger. Und das Ziel viel erschreckender.
Hugo zog sie. Kendra bezweifelte, dass ein Pferdegespann es mit seiner Geschwindigkeit hätte aufnehmen können.
Sie erreichten offenes Gelände, und Kendra sah die hohe Hecke, hinter der der See mit der Pavillonpromenade lag. Es war eine eigenartige Vorstellung, dass Lena einst als Najade dort gelebt hatte.
Bevor sie in die Rikscha gestiegen waren, hatte Oma Hugo befohlen, jedwede Anweisungen von Kendra und Seth zu befolgen. Falls etwas schiefgehen würde, sollten die Kinder möglichst schnell mit Hugo fliehen. Außerdem hatte Oma sie ermahnt, vorsichtig mit dem zu sein, was sie Hugo auftrugen. Da er keinen eigenen Willen besaß, würden die Strafen für seine Taten diejenigen ereilen, die ihm den Befehl dazu gaben.
Oma hatte sich inzwischen umgezogen und trug jetzt ausgewaschene Jeans, Arbeitsstiefel und ein grünes Hemd, das sie auf dem Dachboden aufgestöbert hatte. Seth hatte sich über die Wahl des grünen Oberteils sehr erfreut gezeigt.
Seth hielt mit beiden Händen einen Lederbeutel umklammert. Oma hatte ihm erklärt, dass darin ein besonderer Staub war, der unerwünschte Kreaturen von ihnen fernhalten würde. Er funktionierte ganz ähnlich wie das Salz aus dem Spielzimmer. Außerdem hatte Oma ihn ermahnt, den Staub nur als letzte Möglichkeit zu benutzen. Im Falle ihres Scheiterns würde jedwede Magie, die sie einsetzten, die zu erwartende Vergeltung nur schlimmer machen. Oma hatte ebenfalls einen Beutel mit Staub.
Kendra war mit leeren Händen in den Wagen gestiegen. Da sie noch keine Magie benutzt hatte, meinte Oma, dass es ein Fehler wäre, wenn sie jetzt damit anfangen würde. Anscheinend war der Schutz des Vertrages bei denen, die vollkommen auf Magie verzichteten und auch sonst keinen Unfug trieben, ziemlich stark.
Sie holperten über eine besonders unebene Stelle. Seth musste sich festhalten, um nicht herauszufallen. Lächelnd blickte er über die Schulter. »Nur fliegen ist schöner.«
Kendra wünschte, sie könnte die gleiche Ruhe an den Tag legen. Sie bekam langsam ein flaues Gefühl im Magen. Es erinnerte sie an das erste Mal, als sie in der Schule allein vorsingen musste. In der vierten Klasse. Die Proben waren immer gut gelaufen, aber als sie durch die Vorhänge einen Blick auf das Publikum geworfen hatte, breitete sich ein flaues Gefühl in ihrem Magen aus, und sie war
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