Fabelheim: Roman (German Edition)
Schulter. »Bleib immer hinter mir.«
Die Treppe schlängelte sich hinab und endete an einem Eingang ohne Tür. Aus dem Raum dahinter fiel Licht ins Treppenhaus. Kendra spähte an Hugo vorbei, während er sich seitlich durch den Eingang schob, und sie sah, dass sie nicht mehr allein waren. Doch erst als sie Oma Sørensen in den geräumigen Keller folgte, begriff sie langsam, in was sie da hineingeraten waren.
Der Raum wurde von nicht weniger als zwei Dutzend hellen Laternen fröhlich beleuchtet. Er hatte eine hohe Decke und spartanische Möbel. Opa Sørensen und Lena waren beide mit gespreizten Gliedern an die Wand gekettet.
Eine eigenartige Gestalt stand vor Opa und Lena. Gänzlich aus glattem, dunklem Holz, sah sie aus wie eine primitive Marionette, die genauso groß war wie Opa. Statt durch Gelenke waren die hölzernen Einzelteile durch
goldene Haken miteinander verbunden. Der Kopf erinnerte Kendra an die Maske eines Eishockeytorwarts, nur dass das Gesicht der Holzmarionette viel gröber und einfacher war. Die seltsame Schaufensterpuppe vollführte einen kleinen Tanz; ihre Arme kreisten durch die Luft, ihre Füße stampften auf den Boden, und ihr Blick war auf das hintere Ende des Kellers gerichtet.
»Ist das nicht ihre Stockpuppe?«, fragte Seth leise.
Natürlich! Es war Muriels unheimliche Tanzmarionette, nur viel größer, und sie bewegte sich von selbst!
Am hinteren Ende des Kellers befand sich eine große Nische. Es sah aus, als wäre sie einmal mit Brettern vernagelt gewesen, bis sich jemand mit Gewalt Zugang verschafft hatte. Ein Netz aus miteinander verknoteten Seilen spannte sich über die Nische, und dahinter ragte eine dunkle Gestalt auf. Eine hochgewachsene, schöne Frau mit einer leuchtenden Aura honigblonden Haares stand neben der Nische und blies auf einen der vielen Knoten. Sie trug ein atemberaubendes, azurblaues Kleid, das ihre verführerische Figur betonte.
Um die Frau herum standen Wesen, die aussahen wie menschengroße Versionen der Kobolde, die Kendra in Muriels Schuppen gesehen hatte. Sie waren zwischen anderthalb und zwei Meter groß, einige waren fett, manche dünn, ein paar wenige muskulös. Manche hatten einen Buckel und Hörner oder Fühler auf dem Kopf. Wieder andere hatten hervortretende Geschwüre oder Schwänze. Manchen fehlten Gliedmaßen oder ein Ohr. Alle hatten Narben und eine wettergegerbte, ledrige Haut sowie Stummel anstelle von Flügeln. Zu Füßen der menschengroßen Kobolde tummelte sich eine Vielzahl ihrer kleinen Geschwister. Alle waren sie der Nische zugewandt und starrten auf den Boden.
Die Luft flimmerte. Aus der Nische entfaltete sich ein paar schwarzer Flügel aus Rauch und Schatten. Kendra überkam die gleiche Art von Schwindelgefühl, das sie bei Omas Verwandlung überwältigt hatte. Es schien, als würde die Nische sich entfernen, als betrachte sie die Szene durch das falsche Ende eines Fernrohrs. Ein schwarzer Blitz verdrängte einen Moment lang das stete Leuchten der Laternen, und plötzlich wuchs dort, wo all die Kobolde hinstarrten, ein neuer menschengroßer Kobold.
Kendra schlug sich beide Hände auf den Mund. Die schöne Frau musste Muriel sein. Bahumat wurde von einem Netz verknoteter Seile festgehalten, ähnlich dem Seil, mit dem Muriel gefesselt gewesen war. Jetzt benutzte sie die Energie der sich lösenden Knoten, um die Kobolde auf Menschengröße wachsen zu lassen, und der Dämon würde bald frei sein.
»Hugo«, sagte Oma leise. »Mach die Kobolde kampfunfähig und nimm Muriel gefangen, schnell.«
Hugo stürzte vorwärts.
Ein Kobold drehte sich um und stieß ein widerwärtiges Jaulen aus. Daraufhin wirbelten auch die anderen herum, und die Eindringlinge sahen ihre grausamen, teuflischen Gesichter. Die Augen der zauberhaften Blondine weiteten sich vor Überraschung. »Ergreift sie!«, kreischte sie.
Es waren mehr als zwanzig große Kobolde und zehnmal so viele kleine. Geführt von dem größten und muskulösesten von allen, stürzten sie sich auf Hugo, ein buntgescheckter Mob hässlicher Ungeheuer.
Hugo stellte sich ihnen in der Mitte des Raums entgegen. Mit anmutiger Präzision packte er den Anführer mit einer Hand um die Taille, mit der anderen an den Beinen und bog ihn zuerst in die eine, dann in die andere Richtung
zusammen. Er warf den heulenden Anführer beiseite, während die anderen weiter auf ihn einstürmten.
Mit fliegenden Fäusten schleuderte Hugo die Kobolde in alle Richtungen. Sie versuchten ihm auf die Schulter zu
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