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Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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jedenfalls waren weder Danny noch Colin jemals wieder nach Ravenscraig zurückgekehrt. Die lustige Melodie des Liedes war das, was sie in die Ferne mitgenommen hatten. Und Helen Darcy war die Vergangenheit, die sie dort gelassen hatten.
    Wie seltsam, dachte Colin Darcy, gerade jetzt daran denken zu müssen.
    Und dann sah er den merkwürdigen Vogel auf der Straßenlaterne sitzen.
    Das kleine Tier plusterte das bunte Federkleid und piepste etwas, was sich verdächtig nach dem Lied anhörte, das auch Colin Darcy im Regen pfiff.
    Überrascht blieb Colin stehen und sah zu dem Vogel hinauf.
    Etwas hielt er im Schnabel, und für einen kurzen Moment kam es Colin Darcy so vor, als zwinkere ihm der Vogel zu. Er hielt etwas in seinem Schnabel, das nur eine Täuschung sein konnte. Ein langes gelbes Band wie jene Bänder, die Danny und er am Tag des Begräbnisses an den Ästen der großen Eichen auf dem Galloway Graveyard befestigt hatten.
    Dann erhob sich der Vogel in die Lüfte und verschwand im warmen, rauschenden Regen.
    Und Colin Darcy stand nur da und fragte sich, ob er glauben konnte, was er gerade gesehen hatte.
    Er wanderte durch die Stadt, bis er völlig durchnässt war. Er überquerte die Blackfriars Bridge, schlenderte am Südufer der Themse westwärts, ging hinüber nach Westminster und hinauf bis zum Piccadilly Circus. Von dort aus nahm der die U-Bahn bis Hampstead Heath.
    Als er endlich zu Hause ankam, blinkte der Anrufbeantworter.
    Jemand hatte so viele Nachrichten hinterlassen, dass der Speicherplatz voll war.
    Colin Darcy hatte nicht das geringste Interesse daran, Shilas Stimme zu hören. Trotzdem drückte er auf Wiedergabe.
    »Mr. Darcy«, sagte die erste Stimme, die Rachel, seiner Sekretärin in der London Business School, gehörte. »Sie müssen sich umgehend melden. Es ist etwas passiert. Ich ...« Konnte es sein, dass sie den Tränen nahe war? Colin starrte das Gerät an und spürte, wie ihm schwindelte. »Rufen Sie mich an, so schnell es geht.« Er schaute auf die Uhr. Rachel würde längst nicht mehr im Büro sein.
    Dann begann sich die nächste Nachricht abzuspulen: »Hier ist Mary.« Mary war Arthur Sedgwicks Frau. Sie lebten in Kensington und hatten eine fünfjährige Tochter, Seiina. »Arthur ist tot.«
    Die Worte stürzten wie Felsbrocken in Colins Leben. Er hielt sich zitternd an dem Tisch fest, auf dem der Anrufbeantworter stand.
    Die Nachricht war zu Ende. Das war alles.
    Mary hatte aufgelegt.
    »Colin«, sagte die nächste Stimme, die er kannte, aber seit langer Zeit nicht mehr gehört hatte. »Es ist etwas passiert.«
    Er ließ sich in einen Sessel fallen und betrachtete die Pfützen, die er auf den Dielen hinterlassen hatte. Das Licht des Mondes spiegelte sich darin.
    »Colin«, sagte die Stimme, die er seit seiner Kindheit kannte, in der nächsten Aufzeichnung erneut. »Es ist etwas passiert. Ruf bitte an!«
    Was war hier los?
    War dies der Tag der Unglücke?
    Die Stimme gehörte Miss Robinson, die noch immer in Ravenscraig lebte. Die gute Seele des Hauses war sie gewesen, schon als Colin noch ein kleiner Junge gewesen war. Außer ihr war nur Mr. Munro geblieben, ein netter Mann, der sich um die weitläufigen Grünanlagen kümmerte und Handwerksarbeiten am Haus verrichtete.
    Etwa zwanzigmal wiederholte sich die Nachricht. Miss Robinson musste alle zehn Minuten angerufen und eine Nachricht hinterlassen haben. Der Wortlaut war immerzu derselbe, und bei jeder Nachricht wurde der Ton dringlicher. Selbst durch das Rauschen des Geräts hörte man die Unruhe und die Angst, die in der Stimme der alten Frau mitschwangen.
    »Mist«, fluchte Colin.
    Dann rief er seine Sekretärin im Büro an, nachdem er Mary Sedgwick vergeblich zu erreichen versucht hatte.
    Rachel, die doch tatsächlich zu dieser Stunde noch arbeitete, informierte ihn darüber, dass Arthur bei einem Autounfall in Southwark ums Leben gekommen sei, und auf die Frage, was sie zu dieser Nachtstunde noch im Büro zu tun habe, antwortete sie, dass das Unternehmen, das Arthur betreut hatte, in argen Schwierigkeiten stecke. Sie erklärte ihm kurz und knapp, was los war, aber Colin hörte ihr gar nicht mehr zu.
    Am Ende legte er einfach auf, es ging nicht anders.
    Er atmete tief durch und versuchte einen klaren Kopf zu bekommen. Es passierten Dinge, die einfach nicht passieren durften. Und darüber hinaus passierten sie alle auf einmal.
    Dann dachte er an Miss Robinson.
    Sie ist so nett, ist sie nicht nett?, hörte er seine Mutter sagen. Und sie

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