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Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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kann selbst keine Kinder haben, aber sie liebt Kinder über alles. Als Kind hatte er sich vor Miss Robinson gefürchtet, aber Helen Darcy und Archibald Darcy hatten sie gemocht. Sie hatten ihr all die Jahre über das Wohl ihrer Kinder anvertraut.
    Jetzt ihre Stimme zu hören war nichts, worauf er scharf war.
    »Auch das noch«, seufzte er. Denn das Letzte, was er jetzt tun wollte, war, in Ravenscraig anzurufen. Er wollte nicht mit seiner Mutter sprechen, egal worüber. Es wäre unwichtig, belanglos, nervig, was immer sie auch zu sagen hätte. Es wäre nichts, aber auch rein gar nichts, was ihn auch nur annähernd interessieren würde.
    Aber, und das ließ ihn schließlich zum Telefon greifen, es würde ihn von dem ablenken, was mit Arthur geschehen war. Denn das war die Art, wie Colin mit Problemen umging. Er lenkte sich ab. Er konnte jetzt nicht daran denken, dass Arthur Sedgwick tot war. Unmöglich. Oh ja, Unfälle passierten, das wusste jeder, der kein Kind mehr war. Das Leben konnte so grausam sein und ...
    Nein, er wollte sich nicht damit auseinandersetzen.
    Jetzt nicht.
    Es war... zu viel... irgendwie.
    Colin Darcy, dessen Hände zitterten, wie sie es lange nicht mehr getan hatten, nahm mechanisch das Telefon in die Hand und wählte die Nummer, an die er sich noch immer so gut erinnerte, als habe er sie gerade gestern zum letzten Mal gewählt, und es passierte genau das, was nicht einmal Shila Friedman in all den Jahren gelungen war: Helen Darcy zerstörte, obwohl sie gar nicht mehr da war, sein Leben.
    Erinnertingen sind lebendige Wesen, die oftmals schweigen und dann, meist aus einer unbändigen Laune heraus, zu reden beginnen, als hätten sie niemals zu schweigen gelernt.
    Als Colin Darcy zum Telefon griff und die Nummer wählte, die er so lange Zeit schon nicht mehr gewählt hatte, da kehrten, sobald seine Fingerspitze die Tasten berührte, all die vielen Dinge, die zu vergessen er sich vor langer Zeit geschworen hatte, in seine Gedanken zurück.
    »Colin, du meine Güte, endlich rufst du an.« Die Erleichterung, die er in ihrer Stimme erkannte, machte ihm sofort Angst. Miss Robinson war eine kühle Frau, die immer beherrscht war. Als er klein gewesen war, da hatte sie ihn an Miss Danvers aus dem alten Hitchcock-Film erinnert. Doch dann, als er älter geworden war, hatte er erkannt, dass sie die gute Seele des Hauses war, schon immer gewesen war.
    »Was ist passiert?«
    »Sie ist verschwunden.« Das war alles, was sie sagte.
    Zu allem Überfluss fragte Colin: »Wer?« Plötzlich waren ihm die nassen Klamotten unangenehm auf der Haut. Sie schienen ihn förmlich zu erdrücken.
    »Deine Mutter, sie ist verschwunden.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Sie ist fort. Seit einer Woche schon.«
    Colin rieb sich müde die Augen. »Aber wo ...?«
    »Die Polizei war hier. Sie ist seit heute als vermisst gemeldet.«
    Vermutlich war das wieder eines ihrer dämlichen Spielchen. Archibald Darcy hatte ein Lied davon singen können. Sie war früher schon öfter verschwunden und dann doch wieder aufgetaucht.
    Colin hatte kein Interesse, sich um die Angelegenheiten seiner Mutter zu kümmern. Er wusste, dass nichts Schlimmes passiert war, also konnte er das Gespräch schnell beenden. Gut so!
    Also sagte er: »Danny soll sich darum kümmern.«
    Eine Pause trat ein. Unangenehm.
    Es herrschte Stille.
    »Miss Robinson?«
    »Ja?«
    Er klang jetzt äußerst entnervt. »Haben Sie versucht, meinen Bruder zu erreichen?«
    Wieder Stille.
    Dann sagte sie: »Ja, das habe ich.«
    Ein ganz ungutes Gefühl, das nach kaltem Espresso schmeckte, breitete sich in Colin Darcys Magengegend aus und schnürte ihm die Kehle zu.
    Etwas war nicht in Ordnung in Ravenscraig.
    Nein, etwas war ganz und gar nicht in Ordnung, »Und?«
    »Danny ist auch verschwunden.«
    Colin schnappte nach Luft. Hatte er richtig gehört? Hatte sie das, was er verstanden hatte, wirklich gesagt? »Dummes Zeug.« Er wusste nicht, warum er das sagte, aber etwas Besseres fiel ihm nicht ein.
    »Dein Bruder kam Anfang der Woche hier an und ist seit zwei Tagen ebenfalls fort.«
    »Danny war in Ravenscraig?« Warum, in aller Welt, hatte er das getan?
    »Er wollte sie suchen.« Sie zögerte nur kurz. »Glaube ich.«
    »Was heißt das, er wollte sie suchen?«
    »Einen Tag nachdem eure Mutter verschwunden war, hat Danny ganz zufällig angerufen, weil er mit ihr reden wollte.«
    Colin bemerkte, dass er am ganzen Körper zitterte.
    Daniel - »Danny« - Darcy hatte mit seiner Mutter reden

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