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Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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immer da gewesen waren. Sie erinnerten ihn ans Frühstück zu viert, an Dannys Anfänge auf der alten Gitarre, die später dann so viele Kratzer gehabt hatte.
    In Cairnyan hielt er kurz an, um sich einen Kaffee zu besorgen und die Beine zu vertreten. Er kannte diese Gegend und das, was jenseits davon lag, auch wenn er das meiste davon vergessen hatte. Es war kaum mehr als ein Gefühl, das auf einmal wieder da war. Das da war, seit er den Flieger verlassen hatte und seinen Fuß auf schottische Erde gesetzt hatte. Es war ein Gefühl, das ihn an dunkle Ecken, lange Kellertreppen und leere Zimmer denken ließ, an all die Dinge, vor denen er sich als Kind gefürchtet hatte. Er war wieder hier, so einfach war das. Er war wieder hier, unterwegs nach Portpatrick, unterwegs nach Ravenscraig, und er ahnte, dass nichts von dem, was ihm bevorstand, auch nur annähernd dazu beitragen würde, seine Laune zu verbessern.
    Portpatrick ist ein kleiner Küstenort, überschaubar und mit einem Hafen, der alten Kuttern und Segelbooten ein Heim ist, mit kaum mehr als achthundert Einwohnern, Touristen nicht mitgezählt.
    Es gibt an der Hafenbucht einen alten Leuchtturm und, weiter nördlich die Küste hinauf, noch einen, namens Black Head, der schon lange nicht mehr genutzt wird. Nicht weit von Black Head entfernt gibt es einen alten Seefahrerfriedhof, der den Namen der Gegend angenommen hat, schon vor vielen Jahren: Galloway Graveyard.
    Portpatrick ist ein kleiner Ort, und die Menschen kennen sich. Fremde, die hier Urlaub machen, werden als Fremde bezeichnet. Und Fremde, die nicht hier geboren wurden und nach Portpatrick ziehen, bleiben Fremde, bis sie sterben. Ihre Kinder bleiben die Kinder von Fremden. Erst nach Generationen sagt man, dass jemand »einer von hier« ist. So ist das in kleinen Orten. In Portpatrick ist es nicht anders.
    Es ist wärmer hier als an anderen Orten, was am Golfstrom liegt, der den Geschmack des Sommers allzeit im Regen verbirgt. Die Wellen erzählen Geschichten von der offenen See, sind an Herbsttagen und im tiefen Winter so ungestüm wie Kinder, die nicht wissen, was sie mit all ihrer Kraft anfangen sollen.
    Archibald Darcy hatte diese Gegend geliebt, schon immer, und war, sooft es ging, mit seinen Kindern die Klippenpfade entlanggewandert, hatte ihnen die Gezeiten und den Mond erklärt und die Tiere gezeigt, die überall dort lebten.
    Die Natur war Archibald Darcys geheimer und guter Freund gewesen, und allzeit hatte sie ihm die Stille und die Ruhe gegeben, die er daheim in Ravenscraig nie zu finden vermocht hatte.
    »Wenn es euch schlecht geht«, hatte er seinen Jungs erklärt, »dann müsst ihr dorthin gehen, wo euch der Wind in die Gesichter bläst und die Möwen kreischen. Schließt die Augen, ganz fest, und atmet den Wind ein, der von der See kommt.« Archibald Darcys irgendwie weise Augen waren von einem Jungen zum anderen gewandert. »Das ist das wahre Leben, das ist es, was ihr spüren müsst, von Zeit zu Zeit. Dann werdet ihr glücklich sein, lasst euch das gesagt sein.«
    Colin hörte die Worte, als sei es gestern gewesen.
    »Woran denkt ihr, wenn ihr den Wind im Gesicht spürt und die Möwen hört?«, hatte Archibald Darcy seine Söhne gefragt.
    »An Robert Stevenson«, hatte Colin geantwortet.
    »An U2«, war Dannys Antwort gewesen.
    »An Rod Stewart«, hatten beide im Chor gerufen und sich gekrümmt vor Lachen.
    Zufrieden hatte Archibald Darcy genickt. »Seht ihr, es stimmt.«
    Jeder dachte an irgendetwas, an ein Lied, eine Geschichte, an ein gutes Gefühl, aber keiner von ihnen dachte an Helen Darcy.
    Colin seufzte, als würde das helfen.
    Die Küstenstraße entlangzufahren brachte Erinnerungen zurück, wie alles während der vergangenen Stunden.
    Dies war die Welt, in der Colin aufgewachsen war und sich gefragt hatte, was ihn erwarten würde, wenn er einmal groß wäre. Damals hätte er wohl nie vermutet, dass er einmal etwas so Seltsames tun würde, wie ökonomische Modelle zu entwerfen. SigmaCom hätte sich angehört wie der Name eines Raumschiffs, und Imagery wäre ein Zauberwort gewesen.
    Damals hatte er,..
    Was?
    Er stutzte bei dem Gedanken an die Vorstellungen und Wünsche von einst.
    Was hatte er werden wollen?
    Pirat?
    Cowboy?
    Archäologe?
    Sternenflottenkapitän?
    Ein Buch kam ihm in den Sinn, etwas, was er als Kind gelesen und sehr gemocht hatte. Robert Stevenson: Kidnapped und The Master of Ballantrae. Ja, am Ende waren es diese Momente, die er still und ganz für sich allein in

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