Fabula
finden. Die Alternative zum Fliegen wäre eine lange Zugfahrt gewesen.
Colin schloss die Augen, als der Flieger sich in die Lüfte erhob.
Die blecherne Stimme des Piloten meldete sich zu Wort: »Mein Name ist Martin Blank aus Lochmaddy, und ich bin heute Ihr Pilot. Vertrauen Sie mir, ich bringe Sie nach Hause.«
Colin Darcy öffnete die Augen und starrte genervt den Lautsprecher an. Er war nicht der Einzige, der das tat. Diejenigen, die schmunzelten, waren zweifelsohne ebenfalls Schotten, die nach Hause flogen. Alle anderen waren Engländer oder aber Ausländer, was in den Augen der meisten Schotten das Gleiche war. Colin dachte daran, wie viel Mühe es ihn gekostet hatte, den Dialekt seiner Heimat loszuwerden, um in Cambridge als richtiger Engländer durchzugehen. Das gerollte »r« und das gutturale »ch« loszuwerden war nicht einfach gewesen, aber er hatte es geschafft. Heute schämte er sich ein wenig dafür. Jetzt, da er im Begriff war, wieder nach Portpatrick zu fliegen, kam er sich ein wenig wie ein Verräter vor.
Er schloss erneut die Augen und versuchte sich an die Dinge von einst zu erinnern, die er so erfolgreich vergessen hatte. Wenigstens hatten die Kopfschmerzen nachgelassen.
Kurz bevor der Schlaf ihn übermannte und einige Gedanken konkrete Formen annehmen konnten, dröhnte der knisternde Lautsprecher erneut über seinem Kopf.
»Wir haben soeben den Tweed überflogen«, informierte Martin Blank jeden, den es nicht interessierte, und beendete seine Durchsage mit der überaus patriotischen und von den schottischen Passagieren einstimmig mit Applaus quittierten Feststellung: »Dies ist mein Land, wir sind daheim.« Die Lautsprecher schwiegen mit einem Knacken.
Colin Darcy verdrehte die Augen.
Ich bin daheim, dachte er, na klasse!
Eine Stewardess servierte ihm einen überaus schlechten Kaffee, den er trotzdem trank.
Konnte man das, was gewesen war, wirklich hinter sich lassen? Colin wusste es nicht. Wieder in Schottland zu sein war ein seltsames Gefühl. Er konnte den Geruch des Meeres fast schmecken, selbst hier in dem muffigen Inneren des Fliegers, wo alles nach bitterem Kaffee und abgestandener Luft roch.
Ihm fiel auf, dass er nur sehr wenig in London zurückgelassen hatte. Nur das Leben, das er lebte, nichts weiter.
Er schüttelte den Kopf und rieb sich müde die Augen. Was für ein dummer Gedanke! Es war das Leben, das er gern Oder?
Arthur Sedgwick war der einzige Ankerpunkt in diesem London-Leben gewesen. Die London Business School zählte nicht. Arthur und Mary waren so etwas wie eine Familie gewesen, Freunde, die ihn so oft zum Essen eingeladen hatten, nicht selten in der Absicht, ihn zu verkuppeln. Nun ja, am Ende waren sie erfolgreich gewesen, kurzfristig. Aber zählte das nicht auch?
Sagte nicht Adam Smith, dass langfristig alle tot sind?
War es nicht so? Und wenn es so war, was blieb jetzt noch in London?
Mary?
Es brach Colin das Herz, nur an sie zu denken. Was würde aus Seiina und ihr werden?
Er schaute nach draußen, wo das Grau des Meeres auftauchte. Und Colin Darcy musste an Abb's Head denken, ganz plötzlich. An die Ausflüge dorthin.
An das, was gewesen war.
Das, was ihn damals nach Portpatrick zum Galloway Graveyard hatte zurückkehren lassen.
Er seufzte.
Trank den letzten Rest des kalten Kaffees.
Und dachte an seinen Vater.
An Archibald Darcy, dessen Ähnlichkeit mit dem Schauspieler Cary Grant man kaum hatte übersehen können.
Der die Kunst, seine Kinder und die Vögel Schottlands geliebt hatte. Sowie er die Zeit dazu hatte erübrigen können, hatte er den grünen Anorak vom Haken genommen, war in die abgewetzten Gummistiefel gestiegen, hatte sich sein Fernglas gegriffen und war mit dem alten Rover irgendwohin gefahren, wo es viele Vögel gab und möglichst keine Menschen und am allerwenigsten Helen Darcy.
Hätte Colin die Ehe seiner Eltern beschreiben müssen, dann wäre ihm vermutlich spontan der Begriff »Waffenstillstand« in den Sinn gekommen, mehr nicht.
Archibald Darcy hatte Helen Darcy in Edinburgh zur Frau genommen. Sie hatten sich auf einem Maskenball kennengelernt, irgendwann Anfang der 60er.
Auf den Hochzeitsbildern sahen die beiden aus wie Berühmtheiten: sie so freudig wie Elisabeth II. bei offiziellen Anlässen, bevor sie eine lange Rede zu halten beginnt, er wie Cary Grant in Leoparden küsst man nicht, wenn Katherine Hepburn in der Nähe ist.
Archibald Darcy war Kunsthändler gewesen, und ein äußerst bekannter und erfolgreicher
Weitere Kostenlose Bücher