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Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Die Strömung sei zu stark gewesen.
    Von Eyemouth im Süden bis hinauf nach Cockburnspath hatte man die Küste abgesucht, ohne Erfolg. Dass er tot war, stand außer Frage.
    Helen Darcy hatte getrauert.
    Ihre Söhne auch.
    Der Windhund namens Bonnic Prince Charlie, den Archibald Darcy so geliebt hatte, ebenso.
    Helen Darcy hatte den Trauergästen die uralte Geschichte eines Hundes erzählt, dessen Herr während der blutigen Schlacht um den Khyberpass in Indien gefallen war. Bonnie Prince Charlie hatte unter dem Tisch gelegen und der Geschichte gelauscht. »Er ist fortgelaufen, mitten hinein in den Dschungel, wo ihn niemand finden konnte und er mit seiner Trauer allein war. Als man ihn fand, da war er ganz abgemagert.« Sie hatte sich vergewissert, dass alle ihr zuhörten. »Bis zum Khyberpass ist er gelaufen, den ganzen langen Weg von Bombay aus, wo das Regiment seines Herrn stationiert gewesen war. Er ist dort gestorben, wo auch sein Herr gestorben ist, an genau der gleichen Stelle.«
    Colin bemerkte, wie seine Hände zitterten, als der Flieger aufsetzte und die Landebahn entlangrollte.
    »Willkommen in Schottland«, dröhnte Martin Blank aus der Anlage, »willkommen daheim.«
    Der Flieger stand.
    Colin hielt sich an den Armlehen fest, völlig verkrampft.
    »Sie fliegen wohl nicht gern«, stellte die lächelnde Stewardess fest, die neben seinem Sitz auftauchte.
    Colin Darcy sah sie nur an und sagte: »Doch!«
    Das war alles.
    Er versuchte das Zittern seiner Hände unter Kontrolle zu bekommen.
    Willkommen daheim!
    Auch Bonnie Prince Charlie hatte damals gezittert, damals, als Helen Darcy die Geschichte erzählt hatte. Kurz darauf war er verschwunden. Man fand ihn sechs Wochen später. Ein Mann meldete sich, weil er die Adresse auf dem Halsband des Hundes entdeckt hatte. Bonnie Prince Charlie war bis nach St. Abb's Head gelaufen und die Klippen hinabgestürzt. Ein Wanderer, der Vögel genauso mochte, wie Archibald Darcy es getan hatte, fand ihn dort, bei Ebbe. Das Halsband, nicht den Hund, schickte er nach Ravenscraig zurück.
    »Du und deine beschissenen Geschichten«, flüsterte Colin Darcy und spürte die Tränen in seinen Augen. Er hatte den Hund gemocht, alle hatten das getan, nur Helen Darcy nicht.
    Er atmete tief durch.
    Wieder und wieder.
    Dann war es vorbei.
    Er ging durch den nicht sehr vollen Terminal, und es kam ihm so vor, als hätten die letzten Jahre gar nicht stattgefunden. Als er den Koffer vom Band geholt hatte, ging er zum Büro von National Car Rental, legte Ausweis und Führerschein vor und stand kurz darauf vor einem Land Rover Defender, wie ihn sein Vater immer gefahren hatte und der kantig wie ein Ziegelstein war. Colin Darcy mochte die Würfelform des grünen Wagens, er mochte die leichten Buckel in der Motorhaube, die bulligen Kotflügel, die außen liegenden Türscharniere und die gut erkennbaren Nieten der Aluminiumbeplankung. Es war das Auto, das zu haben er sich als Kind immer gewünscht hatte, und jetzt, da er sich einen Wagen wie den Rover hätte leisten können, fuhr er einen BMW, wenn auch selten (denn wie fast jeder in London, so bevorzugte auch er die U-Bahn, die ihn schneller überall hinbrachte, als es ein Auto jemals hätte tun können im Dschungel des Stadtverkehrs).
    Bevor er auf dem Parkplatz des Verleihers die Tür des Wagens öffnete, ging er zweimal um ihn herum. Langsam, als müsse er erst ein Geheimnis entdecken, bevor er einstieg. Die Scheinwerfer und Leuchten, die das einzig Runde an dem Fahrzeug waren, gaben ihm fast ein Gesicht. Vielen Leuten war der Wagen zu unbequem, zu eckig, viel zu altmodisch.
    Irgendwie ist der Wagen so wie ich , dachte Colin.
    Dem Wagen war der Gedanke egal.
    Colin Darcy jedenfalls war froh, genau diesen Wagen bekommen zu haben, und es schien ihm nur angemessen zu sein, dass er ausgerechnet in diesem Auto hinunter nach Stranraer und weiter nach Portpatrick fahren würde.
    Sein Vater hatte dieses Modell gefahren, immerhin.
    Er ließ den Motor an und lauschte dem knatternden Grummein, dann fuhr er los.
    Damals, als er den Führerschein erworben hatte, waren seine Kumpels und er oft nach Prestwick gefahren, weil das Nachtleben In Prestwick mehr bot als das in Stranraer, jedenfalls für Achtzehnjährige. Er kannte sich hier aus, und es kostete ihn keine Mühe, den Weg zur A77 zu finden.
    Colin drehte das Radio auf und hörte Runrig: Siol Ghoraidh.
    Es hatte sich nicht viel geändert, nicht hier, nicht wirklich. Er kannte die Melodien, weil sie schon

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