Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
Vom Netzwerk:
zwinkerte ihm zu. »Naja, sieht ja niemand.«
    Colin musste lachen. »Ich hab's gesehen.«
    »Macht nichts, du siehst nett aus.«
    Er wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Ob er etwas erwidern sollte. Also ließ er es bleiben.
    »Ich mag deine Koteletten, sie sehen lustig aus, so unfertig. Nein, eigentlich eher nur ... ernst.« Sie war hübsch und beobachtete ihn neugierig. Ihre Nase war schief und spitz, und wenn sie lächelte, dann erstrahlte ihr Gesicht in einem Glanz, der einen glücklich machen konnte, wenn man ihn bemerkte.
    »Was machst du hier?«
    »Ich sitze auf einem Baum und ernähre mich von Oliven«, antwortete sie und wartete ab, wie er reagierte, »Es gelingt mir nicht sonderlich gut, wie du gesehen hast.«
    »Du hast Angst zu verhungern?«
    Sie kicherte.
    »Wenn es so weitergeht«, sagte sie und feuerte eine weitere Olive an ihrem Kopf vorbei in die nächste Gräberreihe, »dann sieht es wohl schlecht aus um mich.«
    »Jemand könnte dich füttern.«
    »Du?«
    »Vielleicht.«
    »Na, das will ich sehen.«
    Er machte ein Gesicht, das sie lustig fand, denn sie musste laut lachen, als er sie ansah.
    »Na ja, du dürftest mich sogar füttern. Du bist hierhergekommen, von ganz allein, das tun nicht viele. Du magst diesen Ort? Ich mag ihn auch. Ich bin oft hier.«
    »Ich zum ersten Mal.«
    »Ich weiß.«
    »Du bist öfter hier?«
    »Sagte ich doch.«
    Ein Windstoß wehte ihr den Hut vom Kopf, und langes braunes Haar kam darunter zum Vorschein. »Ja, ich liebe diesen Ort.« Sie sprang dem Hut hinterher und drückte ihn sich wieder auf den Kopf. »Es ist so ruhig hier. Keine Idioten, wie in der Schule.« Dann erzählte sie von ihrer Mutter, die sie nie gekannt hatte, und von ihrem Vater, der sie immer zwischen den Gräbern hatte spielen lassen, wenn er sich an den Nachmittagen, an denen sie nicht mehr in der Schule gewesen war, um die Gräber und die Grünanlagen des Galloway Graveyard gekümmert hatte. »Als sie sich kennengelernt haben, da waren sie richtig verliebt. Ich weiß es, obwohl er mir nie davon erzählt hat.«
    »Du bist das Friedhofsmädchen«, sagte Colin. »Die anderen haben von dir gesprochen.«
    »Kann ich mir denken. Was haben sie denn gesagt?«
    »Nur hässliche Dinge.« Er sah ihr mitten in die Augen. »Dinge, die nicht stimmen.«
    Sie schlug den Blick nieder. »Haben sie mich Lassie genannt?«
    »Lassie?«
    »Ja, wegen meines italienischen Namens: Lassandri ... Lassie.« Sie verdrehte die Augen. »Witzig, was?«
    Er zuckte die Achseln.
    »Die anderen gehen mir auf die Nerven, deswegen bin ich oft hier. Ich höre dem Meer zu.« Sie senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Und den Toten. Sie wispern. Und singen Lieder. Hast du schon mal gehört, wie die Toten singen? Es ist nicht einmal traurig. Die meisten Menschen denken, dass die Toten traurig sind, aber das stimmt nicht. Sie sind nur tot. Das ist kein Grund, den Kopf hängen zu lassen.«
    »Jetzt bist du nicht mehr allein. Ich hoffe, das stört dich nicht.«
    Sie schüttelte den Kopf und probierte den Oliventrick erneut.
    »Mist«, fluchte sie. Die Olive kullerte an einer Grablampe vorbei und blieb dann im Geäst eines Wacholderbuschs stecken. »Du siehst aus wie jemand, der reden will und nicht weiß, dass er es will.«
    »Ach, sehe ich so aus?«
    »Sagte ich doch.« Die letzte Olive flog durch die Gegend.
    »Und worüber sollte ich reden wollen?«
    »Weiß nicht. Sagst du es mir?«
    »Dafür, dass wir uns gar nicht kennen, stellst du sehr direkte Fragen.«
    »Ja, so bin ich. Weißt du was? Du siehst aus wie der Lcmming, der den anderen in der Reihe verkündet, dass er nicht daran glaubt, dass der Typ da vorne den Weg kennt. Du siehst wirklich nett aus, Colin, Colin Darcy aus Ravenscraig, und damit meine ich nicht einfach nur nett, wie man sagt, dass jemand nett aussieht, wenn man eigentlich denkt, dass er ein Arschloch ist, und einem keine bessere Beschreibung einfällt. Nein, du siehst nett aus wie jemand, dem man gern begegnet ist, weil man manchmal netten Menschen begegnet, auch wenn man gar nicht damit gerechnet hat.« Sie starrte ihn an. »Verstehst du, was ich meine?«
    Ein kalter Wind war über den Galloway Graveyard gestreift wie ein Schakal auf der Suche nach einem Unterschlupf. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich dich verstehe.«
    Sie stellte das Olivenglas, das nunmehr leer war, auf den Boden. »Wir sind hier, weil wir beide unsere Ruhe haben wollen, und doch sind wir uns begegnet, und jetzt reden wir sogar miteinander.

Weitere Kostenlose Bücher