Fabula
abgewetzten Schuh, einen abgerissenen Knopf, ein zcrfleddertes Ray-Bradbury-Taschenbuch (das er wohl irgendwie mit ins Zimmer hatte schmuggeln können: »S is for Space«), einen zweiten Schuh. Manches davon war fast schon vom Sand begraben. Darüber hinaus Dinge, die ein fast Achtjähriger in der Hosentasche so mit sich herumträgt.
»Ich bin der Spur dieser Sachen gefolgt«, erzählte Colin dem Mädchen, das aufmerksam lauschte.
Missgestaltete Wesen hatten im Wüstensand gelebt. Die Bewegungen ihrer Körper waren schlängelnd unter der Oberfläche erkennbar gewesen; manchmal sah man eines, dafür konnte man andere nur spüren. Manche versuchten einen zu packen, mit ihren spitzen Zähnen und rauen Zungen.
»Danny musste sich dort verirrt haben.«
Livia hörte ihm einfach nur zu, und Colin konnte nicht sagen, ob sie ihm Glauben schenkte oder nicht. Ihre Hand aber ließ sie auf seiner liegen, das war etwas, woran er sich auch Jahre später noch erinnern würde.
»Ich bin also der Spur aus Sachen und Krimskrams gefolgt.« Seine Stimme krächzte, als wollte sie das alles eigentlich gar nicht erzählen. Und doch redete er; unaufhörlich sprudelten die Worte.
»Es war, als käme man nie an, wo man hinwollte.«
Genau so war es gewesen.
Die Wüste zu durchqueren dauerte lange. Wie lange, vermochte Colin nicht zu sagen. Fast war es, als rücke der Dschungel mit jedem Schritt, den Colin tat, ein wenig weiter in die Ferne. Es war wie in einem schlimmen bösen Traum, in dem die Geschwindigkeit keinen Gesetzmäßigkeiten mehr unterliegt, sondern tut, was sie will. Schließlich, nach einer Wanderung, die Tage gedauert zu haben schien, erreichte Colin das Dickicht. Sein Gesicht war verbrannt und seine Kehle ausgedörrt, und er fragte sich, was Helen Darcy ihrem jüngsten Sohn wohl erzählt hatte.
Colin wusste, dass es ein Fehler sein würde, zu trinken. In Zimmern wie diesem hier durfte man weder essen noch trinken, denn sonst konnten einem seltsame Dinge passieren. Colin kannte das, er selbst war früher auch hin und wieder eingesperrt worden.
Trotzdem konnte er dem frischen Wasser nicht widerstehen, als er zu einer Quelle kam, die leise auf einer Lichtung sprudelte. Er kniete sich hin und trank aus den Händen und fühlte, wie das kühle Nass ihm die Kehle benetzte. Er rieb sich das Gesicht mit dem Wasser ein und spürte, wie sein Bewusstsein klarer wurde.
Normalerweise war das Zimmer, in dem er sich jetzt befand, kein unendlicher Dschungel, und normalerweise war es auch keine unendliche Wüste. Es war ein gewöhnliches Zimmer, das als Abstellraum für dies und jenes genutzt wurde, gelegen in einem Seitenflügel von Ravenscraig.
Kaum jemand verirrte sich dorthin, allenfalls Miss Robinson oder Mr. Munro, die sich beide um das Haus kümmerten, seit Colin zurückdenken konnte.
Doch jetzt war alles anders.
Ganz anders.
»Ich hätte nicht von der Quelle trinken dürfen.«
In manchen Märchen war es gar nicht gut, wenn man aus fremden Bechern trank oder von fremden Tellern all Jedes Kind wusste das. Tat man es doch, dann passierten einem hässliche Dinge, und es war nicht einfach und meistens sogar unmöglich, diese Dinge rückgängig zu machen.
Das war es, was einen die Geschichten lehrten.
Sei auf der Hut. Immer!
Sei standhaft.
Werde nicht schwach!
Colin Darcy, der die Warnungen aller Märchen der Welt in den Wind geschlagen hatte und weder standhaft noch auf der Hut gewesen, dafür aber zumindest nicht mehr durstig war, als er sich weiter in den Dschungel hineinwagte, verwandelte sich langsam, mit jedem Schritt, den er tat, in ein Spinnentier mit haarigen, schwarzen Beinen, mit denen zu laufen er keine Probleme hatte.
Er spürte, wie er sich veränderte.
War dies die Lösung?
Der Verstand arbeitete jetzt anders, Gerüche überströmten ihn, und der Wind, der die feinen Haare auf seinen Spinnenbeinen berührte, ließ ihn die Welt sehen, wie Tiere sie sehen. Er roch Menschenf leisch und erkannte es als das seines Bruders. Ja, genau festmachen konnte er dessen Position in dieser grünen Hölle. Es war, als hätte der kleine Danny eine Leuchtpistole abgefeuert.
Flimmernder Instinkt trieb Colin Darcy voran.
Flink rannte er auf seinen acht Beinen durchs Unterholz auf jene Stelle zu, wo er seinen Bruder witterte. Die Blätter rauschten nur so an ihm vorbei, und die Hitze im Dschungel war ihm willkommen. Er war ein Bewohner dieses Dschungels geworden. Er spürte förmlich, wie die anderen Tiere ihn mieden.
Er war
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