Fabula
verwobene Stadt der schwarzen Spinnen entdeckt und nie mehr von dort entkommt. Die Spinnenkönigin küsst ihm klebrige Fäden in den Mund, und er bleibt an ihrer Seite auf dem Thron und regiert über Skorpione und anderes Getier.
Helen Darcy hatte diese Geschichte immer nur Danny erzählt.
»Weil sie wusste, dass er sich vor Spinnen fürchtet.« Colin fragte sich noch einmal, ob das alles wirklich passiert Am Ende versucht der Wüstenwanderer zu fliehen, aber die Königin der Spinnen findet ihn und frisst ihn auf.
»Deswegen bin ich hier.«
Livia starrte Colin nur aus großen, wunderschönen Augen an. »Wie geht es Danny jetzt?«
»Er schläft. Ich habe ihn in sein Zimmer gebracht, ins Bett gelegt und zugedeckt, ich habe ihm eine Geschichte erzählt, die ein schönes Ende hatte, bis er eingeschlafen ist.«
»Und dann bist du hergekommen.« »Ich wollte allein sein.« »Aber du hast mich gefunden.« »Das ist nicht schlimm.«
»Ich kenne nicht so viele Leute, die gern herkommen.«
Er nickte. »Dies ist ein Ort, an dem mich meine Eltern nie und nimmer vermuten würden. Außerdem liegt er am Meer. Ich liebe das Meer, es riecht so gut.«
»Ich weiß, was du meinst.«
»Magst du Efeu?«, fragte er.
»Wieso?«
»Die wenigsten Menschen mögen Efeu. Aber hier auf dem Friedhof gibt es viel davon.«
»Die meisten Menschen wissen nicht, was Schönheit ist.«
Er lächelte zögerlich.
»Bist du fortgelaufen?«
»Ja.«
»Wann musst du wieder zurück sein?«
»Solange Danny schläft, ist alles in Ordnung. Außerdem hat er seine Strafe erhalten. Mama wird ihn erst mal in Ruhe lassen. Das ist meistens so, wenn es ... passiert ist.«
»Das ist eine seltsame Geschichte«, gestand sie.
»Danke, dass du sie dir angehört hast.«
»Es ist wichtig, sich Geschichten bis zum Ende anzuhören.«
»Ja.«
»Kommst du morgen wieder her?« »Vielleicht.«
»Wir konnten uns in Stranraer treffen.« »Und reden?«
Sie lächelte. »Ja, und reden. Ganz lange, bis wir alles voneinander wissen.« »Hört sich gut an.«
Sie schaute über die Klippen, mitten in den grauen Horizont. Ein Stück weiter nördlich war Black Head, der alte Leuchtturm, und irgendwo weiter westlich erhob sich die irische Küste aus den grauen Fluten.
Die Welt schien kalt zu sein an diesem Tag, und sie schmeckte nach dem Salz der See, nach den leisen Worten, die gerade gewechselt worden waren, und dann, ganz unverhofft, schmeckte sie auf einmal nach weichen Lippen und warmem, sanftem Atem, der leicht nach Pfefferminze roch.
Als Livia den Kuss löste, hielt sie noch immer Colins Hand fest in der ihren, und ihre Augen waren seinen jetzt so nah, dass er glaubte, in einer weiteren Geschichte gefangen zu sein.
»Du hast mich geküsst.« Er klang verwundert, überrumpelt.
Sie musste lachen, und ihr Haar flatterte im Wind. »Ich dachte, du hast mich geküsst.«
Die Grabsteine beobachteten die beiden, und was immer sie dachten, es würde ihr Geheimnis bleiben.
»Ich ...«
»Manchmal passiert einem so was eben, einfach so.« Sie rückte dicht neben ihn. »Colin Darcy«, flüsterte sie. »Dann muss man die Gelegenheit beim Schopf packen, sonst ist sie weg.«
»Ja«, gab er zur Antwort, und dann küssten sie sich noch einmal. Es war ein langer Kuss, der zögerlich begann und umso vertrauter wurde, je länger er anhielt. Als sich ihre Lippen voneinander lösten, da hatten sie zueinander gefunden. Zufall oder nicht, das war, da hatte Livia ganz recht, am Ende völlig egal.
Der Galloway Graveyard jedenfalls war mit einem Mal ein schöner Ort, denn auch ein Friedhof erkennt Glück, wenn er es sieht, und es war lange her, dass der Galloway Graveyard junges Glück einst erblickt hatte.
Zwei Wochen später sagte Livia: »Ich liebe dich.«
Sie meinte, was sie sagte, und Colin, der spürte, was zu Hause wirklich bedeutete, wenn Livia in seiner Nähe war, wusste, dass er nie ohne sie sein wollte, so viel war sicher.
Sie küsste ihn unter einem Mistelzweig, der in einem Hauseingang hing, irgendwo im Ortskern von Stranraer, und dann sagte sie es ihm erneut, ganz leise und verschwörerisch: »Ich liebe dich.« Sie hatte ihn einfach in den Hauseingang hineingezogen, als sie auf dem Weg ins Kino gewesen waren. »Da ist ein Mistelzweig, das hat was zu bedeuten.« Und dann hatte sie ihn geküsst und ihm ein Versprechen gegeben. »Weißt du, dass diese Worte nicht gern benutzt werden?« Sie wartete keine Antwort ab. »Sie werden so oft gesagt, viel zu oft. Jeder nimmt sie
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