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Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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sie Dinge gern auf den Punkt. »Ich habe Angst gehabt. Nie zuvor in meinem Leben hatte ich solche Angst gehabt wie damals, und nie wieder danach habe ich mich so gefürchtet.«
    »Was war geschehen?«
    »Du erinnerst dich an gar nichts mehr, stimmt's?!«
    »Was meinst du?«
    Sie seufzte. »Du bist hier, weil deine Mutter verschwunden ist.«
    »Ja.«
    »Such nicht nach ihr.«
    »Danny ist auch verschwunden.«
    Sie zuckte die Achseln. »Wenn Helen Darcy fort ist, dann solltest du das feiern.«
    »Was ist passiert?«, wollte Colin wissen.
    »Zu viel«, antwortete sie, »viel zu viel.«
    Und dann begann sie zu erzählen.
    Ihre Stimme füllte den Raum mit der Melodie, die Colin nie richtig vergessen hatte. Er konnte den Blick gar nicht von ihr lösen, nicht wirklich. Sie war da, hier in diesem Raum, Livia, das Friedhofsmädchen.
    »Ich bin mir nicht einmal sicher«, begann sie, »ob das, woran ich mich erinnere, auch wirklich so geschehen ist.« Sie schaute zum Fenster hinaus in den Regen, der sich schimmernd in ihren Augen spiegelte. »Seit acht Jahren lebe ich wieder hier, in Portpatrick.« Sie schaute ihn an und sagte leise, als bringe es die alten Zeiten zurück: »Colin, Colin Darcy aus Ravenscraig .« Dann lächelte sie, traurig. »Drüben in Black Head gibt es eine Kate, von der aus man den Leuchtturm sehen kann. Da lebe ich.« Die Worte malten ihr Leben in die Stille des Raums hinein, hell wie eine schöne Farbe und warm wie ein Geheimnis, das leise Lieder flüstert. Livia, die Bilder malt und Zeichnungen mit Kohle anfertigt; Livia, die in der Pension aushilft, wenn man sie darum bittet; Livia, die ihrem Vater hilft, wenn sein Angestellter einen freien Tag nimmt; Livia, die still und leise ihr Leben lebt, die nach Portpatrick zurückgekehrt ist nach all den Jahren, die sie in Edinburgh und anderswo verbracht hat.
    »Anderswo?«, fragte Colin.
    »Ich bin sogar in Sizilien gewesen, für kurze Zeit, und habe dort dies und das gemacht.«
    »Dies und das?«, fragte Colin.
    Sie nickte und antwortete: »Dies und das.«
    »Jetzt bist du wieder hier.« »Ja.«
    Schweigend sahen sie einander an. Nur das Regenrauschen füllte den Raum, »Deine Mutter hat mir einen Besuch abgestattet.« Schatten krochen ihr in die Stimme. »Damals, bevor ich gegangen Colin starrte sie an. »Wo?«
    »Bei mir zu Hause, in dem Haus in Stranraer. Papa wohnt noch immer dort.«
    »Davon hast du nie etwas gesagt.«
    Sie schluckte. »Ich weil! Danach bin ich abgehauen. Fortgelaufen. Das war das Einzige, was ich tun konnte. Zuerst nach Edinburgh zu einer Tante, dann immer weiter. Wie gesagt, einmal sogar bis nach Sizilien.«
    Colin wirkte verwirrt.
    Ein Teil von ihm wollte gar nicht wissen, was passiert war. Das war der Teil, welcher der schlimmen Neuigkeiten überdrüssig war. Jener Teil, der zögerlich und feige war.
    »Es war im Frühherbst. Zwei Tage nachdem wir zum Black Head hinausgefahren waren, mit den Rädern, erinnerst du dich noch? Sie sei gerade in der Nähe gewesen, habe Tee gekauft«, erinnerte sich Livia, die damals in Stranraer gelebt hatte, in einem Haus am Rande des Ortes, das Colin nur ein einziges Mal betreten hatte. »Und da habe sie sich gedacht, dass sie mich kennenlernen könnte.«
    »Sie hat gewusst, dass wir zusammen sind?«
    Livia nickte. »Das hat sie.«
    »Ich habe nichts gesagt.«
    »Ich weiß, sie hat es trotzdem gewusst.«
    Colin und Livia hatten damals beschlossen, sich nichts anmerken zu lassen.
    »Sie wollte mir eine Geschichte erzählen«, erinnerte Livia sich, und ihre Hände waren wie unruhige Tiere, die sich schnell vor irgendetwas irgendwo verstecken wollten. »Aus diesem Grund ist sie vorbeigekommen.«
    Giovanni Lassandri war nicht zu Hause gewesen, als Helen Darcy das Haus der beiden aufgesucht hatte. Livia hatte das Gartentor, das zu ölen ihr Vater sich schon seit Wochen vorgenommen und vergessen hatte, quietschen hören.
    »Sie stand da wie die alte Hexe in Schneewittchen.«
    »Was hast du gemacht?«
    »Ich habe ihr einen Tee angeboten, weil ich höflich sein wollte. Sie war deine Mutter.«
    Und langsam, wie so oft, hatte das Schicksal seinen Lauf genommen.
    Colin Darcy rutschte in seinem Sessel unruhig hin und her.
    »Sie hat mir eine lange Geschichte erzählt, während sie ihren Tee in aller Ruhe schlürfte. Ich kann mich daran erinnern, als sei es gestern gewesen. Ich kann mich an ihren Blick erinnern, diesen abschätzigen Blick, der mich taxiert Helen Darcy hatte das getan, was sie besonders gut konnte,

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