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Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Bewunderung, die ihre Kollegen für sie übrighatten, erzählte, kaum zuhörte und sich stattdessen fragte, ob er es ohne Schirm bis zur nächsten Haltestelle schaffen würde, ohne nass zu werden, ob ihm die Arbeit an dem neuesten Artikel über die Beschaffenheit sich nichtlinear verhaltender Haushalte leichter von der Hand gehen würde, wenn er einige Variablen in der Programmierung aus dem Modell nehmen würde.
    »Hörst du mir zu?«
    »Nein.« Colin Darcy hasste es zu lügen.
    »Das ist nicht nett.«
    Darüber hinaus hasste es Colin, wenn Shila »Das ist nicht nett!« sagte.
    »Ich mag es nicht, wenn du mir nicht zuhörst.«
    »Entschuldige«, sagte er dann immer und fragte sich, warum er mit jemandem zusammen war, der so war wie Shila Friedman. Sie hatten sich auf der Party eines Kollegen kennengelernt (Arthur Sedgwick, den Colin gut und gern als seinen besten Freund in dem Leben, das er jetzt lebte, bezeichnen konnte) und waren seitdem ein Paar, weil manche Menschen, die sich auf Partys kennenlernen, eben ein Paar werden.
    Irgendwie.
    Das, dachte Colin Darcy oft, ist Systemtheorie. Genau das waren die Muster, die man in zufälligen Ereignissen erkennen konnte, wenn man lange genug danach suchte. Das war es, was er erforschte. Und Arthur Sedgwick, der die wirklich großen Unternehmen betreute und sich einen äußerst guten Namen als Berater im Marketing und in der Verhaltensforschung gemacht hatte, Arthur Sedgwick, der gleichzeitig mit Colin aus Cambridge nach London gekommen war, jener Arthur Sedgwick, der so war, wie Colin gern gewesen wäre, hatte ihn seit Wochen bei einem Projekt um Unterstützung gebeten, das bald schon vor dem Abschluss stand.
    »Was gefällt dir an mir am meisten?«, hatte Shila damals, kurz nachdem sie einander kennengelernt hatten, wissen wollen.
    »Deine Fragerei«, war seine Antwort gewesen.
    »Du bist so ehrlich«, hatte sie entgegnet. »Das mag ich an dir.«
    Na immerhin, hatte Colin gedacht.
    Und sich gefreut.
    Wie gesagt: damals.
    Was Shila Friedman sonst noch mochte, das fand Colin in den ersten Monaten ihrer Partnerschaft schnell heraus, war gutes Essen im East End, experimentellen Jazz, ihr eigenes Spiegelbild, bevor sie die Wohnung verließ, Manchester United, wenn sie die Meisterschaft gewannen, schnellen Sex im Stehen an Orten, die Colin Darcy nervös machten, Tony Blair, ihren Namen in den Zeitschriften Case Closed und Copyright Revisited, Jude Law und moderne Gemälde mit Kreisen, Ecken und Strichen (und das alles nicht unbedingt in dieser Reihenfolge).
    Was Shila Friedman nicht mochte, war Fastfood, Menschen, die das Gleiche trugen wie sie selbst, alle Arten von Hunden (ohne Ausnahme), ihr eigenes Spiegelbild kurz nach dem Aufstehen, Menschen, die Spaß hatten, Colin Darcys Koteletten, die M25, den Stadtteil Islington, das Gedränge in der U-Bahn, Emma Thompson und definitiv alle Menschen, die sie nicht beachteten, wenn sie einen Raum betrat, und darüber hinaus noch die Enten im Hyde Park.
    Trotzdem ...
    Shila Friedman aus Milton Keynes gehörte jetzt seit einiger Zeit schon zu Colin Darcys Leben. Sie gehörte zu ihm, wie die London Business School zu ihm gehörte und Arthur Sedgwick mit seiner Familie; genauso sehr, wie Helen und Archibald Darcy, seine Eltern, Danny und Ravenscraig seit einigen Jahren nicht mehr zu ihm gehörten.
    Shila Friedman war der Mensch, der immer da war. Sie war zugegen in Form von Telefonaten, Mails oder SMS, allzeit bereit, sozusagen. Mit der Zeit hatte Colin sich auch daran gewöhnt.
    Entweder sie verbrachten die Nächte in seinem kleinen Apartment in Hampstead Heath, oder Colin Darcy übernachtete in ihrer geräumigen und modernen Wohnung drüben in Aldwych.
    Eine gemeinsame Wohnung zu beziehen war ihnen aber bisher noch nicht gelungen.
    Allein darüber nachzudenken erschien Colin Darcy als unsinnig.
    Helen Darcy und Archibald Darcy hatten in einem riesigen Haus gelebt und waren einander so fremd gewesen, wie Eheleute es nur jemals hatten sein können.
    Danny und Colin war schon sehr früh aufgefallen, wie schwer es ihren Eltern selbst in Ravenscraig gefallen war, einander aus dem Weg zu gehen.
    »Glaubst du, dass sie sich lieb haben?« Danny war keine acht Jahre alt gewesen, als er seinem Bruder die Frage gestellt hatte.
    Und Colin, der schon damals ehrlich gewesen war, hatte geantwortet: »Keine Ahnung.«
    Wie auch immer, allein der Gedanke, dieses oder ein ähnliches Spiel in einem kleinen Apartment spielen zu müssen, war unerträglich

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