Fabula
liebst mich, Colin.«
»Das«, murmelte er, »hättest du nicht sagen sollen.«
Sie schwieg. Lächelte, einmal in Richtung Colin, einmal in Richtung des Paars am Nebentisch, das Gang der Ereignisse folgte. »Du wirst mich hier doch nicht sitzen lassen. Colin, das wäre nicht nett.« Frisur, rein instinktiv. Das tat sie immer, wenn sie nervös wurde, das war Shila.
Colin nahm das Weinglas in die Hand.
»Was hast du vor?«
Er trank den Rest des trockenen Weißweins, stellte das Glas auf den Tisch.
»Was wirst du tun?«
Er schaute ihr in die Augen. »Weggehen.«
Und das tat er dann auch, einfach so.
Colin Darcy ging nach draußen, wo ihn ein warmer Sommerregen empfing.
Er ließ die Tropfen sein Gesicht benetzen und begann eine Melodie zu summen, an die er seit Jahren nicht mehr gedacht hatte. Genau genommen seit dem Begräbnis seines Vaters.
Tie a yellow ribbon round the ole oak free.
Warum musste er gerade jetzt an dieses Lied denken? So deutlich, als spiele es ein Straßenmusikant, so klar hörte er es vor sich.
Langsam ging er durch den Regen und spürte, wie er zu der imaginären Melodie zu wippen begann. Sein Gang wurde beschwingt, nahezu fröhlich. Er ging mitten durch die Pfützen auf dem Gehweg und ließ den Regen auf sich herabregnen, bis ihm das weiße Hemd am Leib klebte. Wie damals, als er Ravenscraig verlassen hatte, so blickte Colin Darcy auch jetzt nicht zurück.
Er wusste, dass Shila noch immer im »Le Suquet« saß und wütend war, weil das, was er getan hatte, »nicht nett« gewesen war. Er wusste, dass sie von ihm erwartete, dass er zu ihr zurückkehren würde. Dass sie ihn betrogen hatte, stand außer Zweifel. Und ebenso stand außer Zweifel, dass es Colin egal war. Er wusste nicht, ob man oft im Leben Momente solcher Klarheit hatte, aber das, was er fühlte, war ein ganz eindeutiges Gefühl. Er war nicht wütend, er war nicht einmal traurig.
Er war erleichtert.
Ja, er war froh darüber, dass er Shila Friedman los war.
Sollte sie im Lokal sitzen bleiben, sollte sie Colm anrufen und sich von ihm trösten lassen, sollte sie tun, was auch immer sie tun wollte. Sollte sie sich eine Unterhausdebatte mit Tony Blair anschauen oder, zum hundertsten Mal, den Film Shopping.
Colin Darcy begann ein Lied zu pfeifen, während der Regen ihm ins Gesicht fiel.
neugierig dem Sie prüfte ihre
Er pfiff die Melodie, die auf der Beerdigung seines Vaters gespielt worden war, und jetzt, da er hörte, wie er selbst sie pfiff, da fühlte er sich beschwingt und frei und fragte sich, ob auch sein Vater sich im Augenblick seines Todes beschwingt und frei gefühlt hatte, Alexander Archibald Darcy hatte die Vollstreckung seines Testaments an nur eine einzige Bedingung geknüpft.
»Ich verfüge«, so lautete der letzte niedergeschriebene Wille, den der Testamentsvollstrecker, Notar und Steuerberater der Familie, Mr. Peabody aus Stranraer, den wenigen Anwesenden vorlas, ab und zu unterbrochen von einem Hüsteln, »ich verfüge, dass meine sterblichen Überreste auf dem Galloway Graveyard beigesetzt werden. An den Eichen sollen gelbe Bänder befestigt werden, und eine Band soll das Lied Tie a yellow ribbon round the ole oak tree spielen.«
Das war alles gewesen.
Archibald Darcy hatte dieses Lied schon immer gemocht. Er hatte es in allen möglichen Versionen besessen, von Männern und Frauen gesungen, von Chören, von allen möglichen Interpreten und in allen möglichen Formen (Schallplatten, CDs, und es gab sogar, kaum zu glauben, ein Musikvideo).
Helen Darcy hatte, nachdem sich ihre Überraschung gelegt hatte, geschimpft. Was noch recht gelinde ausgedrückt war. Sie war außer sich gewesen, denn sie hasste dieses Lied.
»Das hat er nur verlangt«, pflegte sie auch später noch zu sagen, »um mich zu ärgern.«
Doch am Ende wurde es genauso gemacht, wie es sich Archibald Darcy gewünscht hatte.
Vor der Trauergemeinde, die nicht sehr groß gewesen war, hatte eine einheimische Band Tie a yellow ribbon round the ole oak tree gespielt.
Die Anwesenden hatten dem Lied gelauscht, und in den Ästen der Bäume hatten die gelben Bänder im Wind getanzt.
Colin erinnerte sich ungern an diesen Tag.
Still hatten Danny und er die Trauerfeier über sich ergehen lassen.
Helen Darcy hatte nicht eine einzige Träne vergossen, sondern nur hasserfüllt und aus einem Grund, den ihre Söhne beide nicht nachvollziehen konnten, mit den schwarzen Schuhen im Takt des Liedes gewippt, als liege eine Art Bann über ihr.
Danach
Weitere Kostenlose Bücher