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Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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für Colin. Er wusste nicht, was eine Beziehung wirklich ausmachte. Bei seinen Eltern war es die Ruhe zwischen den Stürmen gewesen, die den Kindern das Atmen erlaubt hatte.
    Und bei Shila? Sie hatten sich aneinander gewöhnt. Sie kannten einander gut.
    Im Übrigen stellte sie die Frage, die Colin weder hören noch beantworten wollte, in durchaus regelmäßigen Abständen wieder und wieder, so auch an jenem Tag, an dem sich alles, aber auch wirklich alles (und darüber hinaus noch etwas mehr) in Colin Darcys Leben ändern sollte.
    »Lass uns essen gehen«, hatte Shila vorgeschlagen.
    So fing es an.
    Dieser Vorschlag, für sich allein genommen, war noch nicht verdächtig gewesen.
    Ihre Zutraulichkeit schon.
    Sie hakte sich normalerweise auf der Straße nie bei Colin ein, und sie neigte auch nicht dazu, ihren Kopf an seine Schulter zu legen, nicht in der Öffentlichkeit. Sie war jemand, den manche Menschen auf der Straße erkannten, und sie hatte ein Image, das ihr wichtig war. An diesem Abend tat sie es.
    »Ein Jurist«, pflegte sie zu sagen, »ist nur so viel wert wie sein Image.« Dass sie gerade an diesem Abend nicht nach ihrem Grundsatz handelte, hätte Colin zu denken geben müssen. Da ihm die Arbeit aber seit zwei Tagen ein wenig über den Kopf wuchs, tat es das nicht.
    Die Atmosphäre im urtümlichen »Le Suquet« in der Draycott Avenue war jedenfalls locker und lebendig wie immer, wenn sie dort waren, die französische Stammkneipe wie geschaffen für diesen warmen Abend.
    Während draußen ein warmer Sommerregen niederging und das sanfte Rauschen wie eine leise Melodie durch die offenen Fenster in den Raum drang, verspeiste Shila genüsslich ihre Brasse in Folie, während Colin sich für die Jakobsmuscheln mit Knoblauch entschieden hatte.
    Der Regen erinnerte Colin an diesem Abend an Portpatrick, und für einen kurzen Augenblick verspürte er das Bedürfnis, dorthin zurückzukehren.
    Zu den kleinen Häusern, erbaut aus klobigen Steinen, sodass sie allzeit Wind und Wetter zu trotzen vermochten. Zu den Menschen mit den faltigen und ernsten Gesichtern, deren Hände schwielig und rau waren von den Tauen und dem Salz der See, das wie flüchtige Träume über dem Rauschen der Gischt schwebte. Zu den Straßen, die eng waren und sich an die Klippen schmiegten, wo jeder jeden kannte und die Einwohnerzahl nur in den Sommermonaten anwuchs, wenn sich Touristen in den kleinen Ort verirrten.
    Colin Darcy hörte wie von ferne die Stimmen der Menschen, den kehligen Dialekt, der nicht Englisch und nicht Schottisch war, sondern wie die Gezeiten, so ungestüm und ehrlich und direkt wie ein Shanty aus alter Zeit.
    Dass er an diesem Abend an den kleinen Hafen denken musste, verwunderte ihn lediglich.
    Dass sich an diesem Abend, wie gesagt, sein gesamtes Leben verändern sollte, ahnte er nicht im Geringsten.
    Dabei war das Abendessen nur der erste Stein, der langsam ins Rollen kam.
    »Wir könnten uns endlich eine gemeinsame Wohnung suchen«, schlug Shila vor. »Was meinst du?« Sie hatte am Mittag die Klage eines Pharmaunternehmens abschmettern können und war bester Laune, weil ihr Mandant seit vier Stunden schon ein glücklicher Mandant war und das Patent an einem neuartigen Mittel gegen Kopfläuse sein Eigen nennen durfte.
    Wenn Shila bester Laune war, dann begann sie meistens von einer gemeinsamen Wohnung zu sprechen.
    »Könnten wir tun.«
    Sie beugte sich zu ihm.
    Der Duft ihres Parfüms streifte ihn wie ein Versprechen, das leicht gemacht und dann nicht eingehalten wird. »Das ist nicht die Frage. Sollen wir es tun?« Ein sanftes und dennoch entschlossenes Rot ließ ihre Lippen glänzen.
    »Wir könnten es tun.«
    Sie pickte in ihrem Essen herum, etwas zu aggressiv, als dass es den Fisch auch nur annähernd gewürdigt hätte. » Willst du es tun? Ich meine, wir reden so oft darüber. Du weichst mir jedes Mal aus, Colin. Ja, das tust du. Immer und immer wieder.«
    »Kann sein.«
    Sie legte das Besteck beiseite. »Kann sein?«, äffte sie ihn mit leiser Stimme nach. Das Besteck klimperte aufgeschreckt.
    Er nickte. »Ja, kann sein.« Colin spürte förmlich, wie er sein mürrisches Gesicht aufsetzte. Es fühlte sich an, als würde die Haut zu einer Maske. Als zöge etwas die Mundwinkel nach unten und schüttete ihm gleichzeitig Eis in die Augen.
    »Das ist alles?«
    Colin Darcy schaute nach draußen in den Regen und dachte an die Fischerboote, die in dem kleinen Hafen von Portpatrick vertäut lagen und zu denen er so oft mit

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